Blinde und sehbehinderte Kinder beim Schulbeginn in Österreich: Herausforderungen und Wege zur Chancengleichheit
Bildung baut Zukunftschancen. Wer früh Talente entdeckt und Potential gefördert bekommt, wer Raum zum Wachsen und Weiterbilden hat, hat es später am Arbeitsmarkt leichter. Gerade blinde und sehbehinderte Kinder stehen aber immer wieder vor Barrieren, wenn es um den Zugang zu solider und individueller Bildung geht. Einsparungen am Bildungssektor und fehlende Ressourcen verschärfen die Lage. Auf lange Sicht bedeutet das ungenutztes Potential und Chancenungleichheit, die nur mit großem Aufwand ausgeglichen werden kann.
Es ist wohl einer der aufregendsten Tage für alle Erstklassler: der erste Schultag. Neben wem wird man wohl sitzen? Und wird die Lehrkraft streng sein? Für blinde und sehbehinderte Kinder stellen sich aber oft ganz andere Fragen, wenn es um den Schuleintritt geht, denn er bringt besondere Herausforderungen mit sich. Haben die Schulen nicht schon Erfahrungen am Sektor inklusiver Bildung gesammelt, tauchen oft zahlreiche Barrieren auf. Unterrichtsmaterialien, müssen rechtzeitig und verfügbar sein. Fehlt die Spezialisierung und Beschäftigung mit den notwendigen Grundlagen für inklusiven Unterreicht, liegen Bücher und Arbeitsblätter beispielsweise nur als gescannte PDFs vor, die weder vorgelesen noch in Braille umgesetzt werden können. Auch digitale Lernplattformen sind häufig nicht nach internationalen Standards für Barrierefreiheit (WCAG) gestaltet, obwohl öffentliche Stellen dazu verpflichtet sind und ab 2025 mit dem Barrierefreiheitsgesetz auch weitere Anbieter folgen müssen.
Unterstützungsleistungen für alle?
Ein Punkt, der vor allem bei älteren Schüler:innen tragend wird und der in Absprache mit den betroffenen Personen und nach der Bedürfnisklärung organisiert werden muss, ist die Bereitstellung assistiver Technologien, die in der Schule genutzt werden können. Dazu zählen etwa Braillezeilen, Screenreader oder Vergrößerungssoftware. Assistive Technologien und Hilfsmittel müssen rechtzeitig vorhanden sein und das pädagogische Fachpersonal muss im Umgang damit geschult sein. Auch die Frage nach Persönlicher Assistenz im Unterricht gilt es zu klären. Im „Erlass betreffend Unterstützungsleistungen für Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung in Bildungseinrichtungen des Bundes“ sind Unterstützungsleistungen geregelt. Dies gilt aber nur für Schüler:innen, die eine öffentliche Schule besuchen. Öffentliche Pflichtschulen oder Privatschulen sind nicht erfasst. Hier treffen den Bund keine aus dem Behindertengleichstellungsrecht ableitbaren Pflichten. Ausgenommen sind aber Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht und der Bund in den Organen des Schulerhalters vertreten ist.
Einser, setzen!
Über die Bereitstellung barrierefreier Materialen hinaus stellt sich früher oder später auch die Frage, wie in Prüfungssituationen fair vorgegangen werden kann. Die Verfahren rund um den sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) und den Nachteilsausgleich in Prüfungen werden in der Praxis aber unterschiedlich gehandhabt, was Unsicherheit für Familien und Schulen mit sich bringt.
Auch bei Prüfungen gilt es, faire Rahmenbedingungen zu schaffen. Das Schulunterrichtsgesetz (§ 18 Abs. 6) und die Leistungsbeurteilungsverordnung (§ 2 Abs. 4) sehen ausdrücklich vor, dass Kinder mit Behinderungen Anspruch auf Nachteilsausgleich haben. Dazu gehören verlängerte Arbeitszeiten, Hilfsmittel wie Braillezeilen oder Vorlesesoftware, alternative Prüfungsformen oder die Möglichkeit, in einem ruhigen Raum zu arbeiten.
Barrierefreiheit verbaut?
Eine selbstbestimmte Orientierung in Bildungseinrichtungen muss für alle Schüler:innen möglich sein, um sichere Mobilität zu ermöglichen. TBIs (Taktile Bodenleitsysteme), kontrastreiche Markierungen, klare Kennzeichnungen an Türen erleichtern die Navigation, werden in der Praxis aber nicht immer zufriedenstellend umgesetzt. Nicht selten liegt es an den betroffenen Schüler:innen und ihren Erziehungsberechtigten, für die Bedürfnisse einzustehen und Forderungen klar zu formulieren.
Chancengleichheit in Sicht?
Damit Schule inklusiv gelingt, müssen Barrieren systematisch abgebaut werden. Dazu zählen zentrale Bausteine wie barrierefreie Unterrichtsmaterialien: Texte sollten in zugänglichen und gut strukturierten Formaten wie DOCX, EPUB oder PDF/UA vorliegen, Bilder und Grafiken mit Alternativtexten beschrieben sein, Lernplattformen und digitale Tests müssen barrierefrei gestaltet sind.
Auf organisatorischer Ebene braucht es klare Zuständigkeiten, Ressourcen für sonderpädagogische Unterstützung und speziell geschultes pädagogisches Fachpersonal.
Auch wenn es seitens der Bildungsstätten in ganz Österreich große Bemühungen darum gibt, ein inklusives und hochwertiges Bildungsangebot für alle Schüler:innen anzubieten, sieht die Praxis nicht zuletzt aufgrund fehlender Ressourcen, fehlendes pädagogisches Fachpersonal und mangelnder finanzieller Möglichkeiten oft bitter aus. Potentiale können nicht gefördert und Talente nicht ausgebaut werden, Weiterbildungschancen werden schon früh verbaut. Die Gründe, weshalb auch in Österreich nicht alle blinden und sehbehinderten Menschen die Bildungswege einschlagen können, die sie gerne beschreiten würden, sind vielfältig. Fakt bleibt aber: nur ein hochwertiges Angebot an Bildungsoptionen für alle führt zu einer inklusiven und chancengleichen Gesellschaft.
Weiterführende Links
Unterstützungsleistungen für Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung in Bildungseinrichtungen des Bundes
https://www.bmb.gv.at/Themen/schule/befoe/sbh_behinderung.html
BSVÖ: Vom Wert der Bildung am Weltalphabetisierungstag: https://www.blindenverband.at/de/aktuelles/1580/BSVOe-Vom-Wert-der-Bildung-am-Weltalphabetisierungstag
BSVÖ Broschüre: BILDUNG FÜR ALLE! Bildung muss inklusiv sein: https://www.blindenverband.at/de/information/broschueren/1577/BILDUNG-FUeR-ALLE