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BSVÖ: Barrierefreie Bildung III: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans doch noch?

  • Barrierefreie Bildung © BSVÖ

Für viele junge Menschen öffnet sich nach Lehrabschluss, Matura und Co die Tür zu neuen Optionen der Weiter-, Aus- und Fortbildung. Wer nicht sofort ins Berufsleben einteigt, vertieft, entfaltet sich oder findet heraus, in welche Richtung es nun eigentlich gehen soll. Für Menschen mit Behinderungen sind diese Optionen oft nicht mehr als eine unerreichbare Utopie.

Fördern und gefordert werden

 

Über viele Jahrhunderte hinweg war die Bildungssituation für Menschen mit Behinderungen gelinde ausgedrückt katastrophal. Aber auch ein scharfer Blick auf die gegenwärtige Situation in Österreich hält keine Begeisterungsstürme für den Status Quo parat. Darüber berichtete der BSVÖ schon öfters, zuletzt letzte Woche in Teil II der September-Fokusreihe um barrierefreie Bildung.

 

Dabei ist eine solide Ausbildung nicht nur ein Ticket für bessere Chancen im späteren Berufsleben, sondern auch die Grundlage, die eigenen Potentiale zu entdecken und im besten Fall, entfalten zu können.

 

Um konsequent die Möglichkeit zu bieten, an den eigenen Talenten zu feilen und Neues zu lernen, ist es notwendig, schon im jüngsten Alter damit zu beginnen. Frühförderung im Kleinkindalter kann über Startschwierigkeiten hinweghelfen oder essentielle Werkzeuge in einem Alter zur Verfügung stellen, da sie schon gebraucht werden. Und auch nach der Grundausbildung soll nicht Schluss sein, denn meist beginnt erst hier der Prozess individueller Verortung in Gesellschaft, Berufswunsch und Neigung. Dass schließlich auch im Lebensabend nicht auf Weiterbildung und Interessensvertiefung verzichtet werden soll, liegt auf der Hand. Und dennoch sieht die Realität für Menschen mit Behinderungen anders aus.

Kinderkram

 

Blinde und sehbehinderte Kinder profitieren von speziellen Frühförderprogrammen, die darauf abzielen, die ganzheitliche Entwicklung der Kinder umfangreich und bedarfsgerecht zu unterstützt. Um eine ideale Förderung anzubieten, fortlaufenden Beobachtung der allgemeinen Entwicklung des Kindes eine aufmerksame Diagnostik seines Sehens notwendig. Frühförder:innen besuchen hierfür Familien auch zu Hause, damit Kinder im gewohnten Umfeld unter möglichst geringer Ablenkung gefördert werden können, dabei kommt auch Elternberatung ins Spiel.

 

Eltern von blinden oder sehbehinderten Kindern finden sich nicht selten in einer Situation, die mit ungeahnten Herausforderungen aufwarten kann. Sich hier auf kompetente Unterstützung durch Fachpersonal verlassen zu können und zu wissen, an wen Fragen gerichtet werden können, hilft, einen familiären Umgang zu erhalten, in dem das Kind die bestmöglichen Werkzeuge für das spätere Leben erhält.

 

Nicht in ganz Österreich wird diese wichtige Unterstützung angeboten und oft müssen Eltern und Kinder lange Strecken auf sich nehmen, um Frühförderung in Anspruch nehmen zu können. Aber damit nicht genug, stehen viele bald vor dem nächsten Problem:

 

Nicht alle Kindergärten sind gewillt oder finden in sich das Potential, Kinder mit Behinderungen einen Platz zu bieten. Das Ergebnis: Kinder werden schon in jüngstem Alter diskriminiert und von Inklusion von Anfang an nicht umgesetzt.

In Österreich besteht kein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz der schon vor dem verpflichteten halbtägigen Kindergartenjahr ein Jahr vor Schulpflicht den Kindergartenbesuch garantieren würde, dazu kommen der generelle Mangel an freien Plätzen und fehlende strukturelle Rahmenbedingungen (ausgebildetes pädagogisches Personal, umfassende Unterstützungssysteme).  

 

Wenn die ersten Erfahrungen, die ein Kind mit Behinderung in Österreich mit dem Bildungssystem macht darauf hinauslaufen, dass Inklusion nicht ernst genommen wird, Bildungsangebote verwehrt werden und die so wichtige soziale Interaktion mit Gleichaltrigen außerhalb des familiären Umfeldes nicht möglich gemacht wird, ist das bezeichnend für die vielfältige Problematik des aktuellen Bildungssystems für blinde und sehbehinderte Menschen und Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen in Österreich. Ein Zustand, den der BSVÖ seit Jahren verurteilt.

 

Wenn Sie sich für Frühförderungsoptionen in Ihrer Nähe interessieren, nehmen Sie Kontakt zu ihrer Landesorganisation auf!

 

Mehr als Pflicht!

 

Im Jänner dieses Jahres 2023 veröffentlichte der Österreichische Behindertenrat eine Stellungnahme zur Bürgerinitiative „Recht auf Bildung für ALLE Kinder – Recht auf ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit Behinderung“

 

Eingereicht von einem engagierten Elternverein richtete sich die Bürgerinitiative auf eine den untragbaren Umstand, dass es über die Pflichtschulzeit hinaus ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit Sonderpädagogischem Förderbedarf (SFP) von den Behörden bewilligt werden müssen.

 

Dabei sind Eltern gefordert, sich rechtzeitig um eine Beantragung zu bemühen. Dadurch entsteht österreichweit eine sehr unterschiedliche Bewilligungspraxis (in Wien wird sie fast gar nicht mehr erteilt, in den anderen Bundesländern meistens). Dies auch deshalb, weil es keine klaren Regeln gibt, wann eine Genehmigung erteilt wird beziehungsweise wann sie abgelehnt wird.

- Stellungnahme des ÖBR

 

Wenn Kindern und Jugendlichen mit Behinderung nach dem Pflichtschulabschluss die Tür zu weiteren Bildungsjahren vor der Nase zugeschmissen wird, bedeutet das, Potential effektiv an der individuellen Entfaltung zu hindern und vom ersten Arbeitsmarkt abzuziehen.

 

Die in Österreich herrschende Bewilligungspraktik ist aber nur ein Baustein im Problem des Bildungsangebots bis 18 und darüber hinaus. Es muss hier über die Quantität hinaus gedacht werden und auch die Qualität des Unterrichts sichergestellt sein. Barrierefreies Lehr- und Lernmaterial, zugängliche Ausbildungsplätze, Persönliche Assistenz in der Bildungseinrichtung und Pädagog:innen, die zielgerichteten und bedarfsorientierten Unterricht durchführen können (was bei einer generellen Überlastung der Lehrkräfte selten möglich ist und auch hier nur selten den Ausführenden angelastet werden darf).

 

Pensionsstress

 

Ein großer Teil der Menschen in Österreich, die von Sehbehinderungen oder Blindheit betroffen sind, sind Spätbetroffene. Wer im Alter eine Sehbehinderung bekommt oder erblindet, steht vor vielfältigen Herausforderungen, den Alltag weiterhin zu meistern. Aber abgesehen vom Erlenen der Grundlagen, die nötig sind, um weiterhin ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, wollen natürlich auch Senior:innen nicht darauf verzichten, sich Weiterzubilden, neues zu lernen und ihren Horizont zu erweitern.

Außerhalb des Berufslebens werden allerdings nicht nur die Angebote knapp, auch fallen viele Finanzierungs- und Fördermaßnahmen weg, sobald man aus dem Berufsleben ausgetreten ist.

 

Es ist daher notwendig, Bildungsangebote immer auch barrierefrei anzubieten. Konkret: Alles, was im Mehrsinneprinzip ausgeführt ist, also mehr als nur einen Sinn anspricht, ist auf einem sehr guten Weg, auch von beinahe allen Menschen genutzt werden zu können. Sind Webseiten, Infomaterialien, Unterlagen, Bücher, Lehrpläne und Anmeldungssysteme, Bildungsinstitutionen und Kommunikationssysteme nicht barrierefrei gestaltet, werden Menschen aktiv ausgeschlossen.

 

Lernen und Weiterlernen dürfen

 

Der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich setzt sich für gleichberechtigte und chancengleiche Bildung in ganz Österreich ein. Das bedeutet, dass Lernen von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter nicht durch Barrieren und Blockaden im System unmöglich gemacht werden darf.

 

Inklusion ist ein lebensüberspannendes Thema. Die ersten beiden Lebensjahrzehnte und damit auch die Schulzeit sind dabei entscheidend, ob Menschen mit Behinderungen später ihren persönlich passenden Platz in der Gesellschaft finden. Ebenso sind Aus- und Weiterbildung wesentliche Voraussetzungen für ein erfülltes Berufsleben. Wir fordern daher faire Bildungschancen für Menschen mit Behinderungen.

- Dr. Markus Wolf, Präsident des BSVÖ

 

Weiterführende Links

 

Folder Bildung für alle des BSVÖ: https://www.blindenverband.at/de/information/broschueren/1577/BILDUNG-FUeR-ALLE

Stellungnahme des ÖBR zum 11. und 12. Schuljahr: https://www.behindertenrat.at/2023/01/stellungnahme-des-oesterreichischen-behindertenrates-zur-buergerinitiative-betreffend-recht-auf-bildung-fuer-alle-kinder-recht-auf-ein-11-und-12-schuljahr-fuer-kinder-mit-behinderung/

 

Frühförderung des BSV Tirol: https://www.bsvt.at/leistungen/paedagogische-fruehfoerderung/

 

 

 

 

 

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