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Gleichstellung am Arbeitsmarkt - Bericht von EU-Abgeordneter Katrin Langensiepen

Katrin Langensiepen, die einzige Frau im Europäischen Parlament mit sichtbarer Behinderung, arbeitet an einem Bericht über die Durchsetzung einer Europäischen Richtlinie, welche die Gleichbehandlung für Menschen mit Behinderungen in Beschäftigung und Beruf zum Ziel hat. Der Entwurf ihres Berichtes, an dem sich auch die Europäische Blindenunion beteiligt hat, liegt bereits vor, Sie finden dessen Zusammenfassung sowie den gesamten Entwurf als Dokument weiter unten.

"Es ist für jeden Menschen entscheidend, eine Arbeit zu haben. Eine Arbeit ist grundlegend, um zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen, um die notwendigen finanziellen Mittel zu verdienen, die es ermöglichen, ein erfülltes und gesundes Leben zu führen, um unser Potenzial als Menschen zu realisieren und um Teil der Gesellschaft zu sein. Allerdings wird uns Menschen mit Behinderungen das „Recht zu arbeiten“, das durch verschiedene internationale Menschenrechtsdokumente und die EU-Grundrechtecharta geschützt ist und gefördert wird, systematisch verweigert und wir werden aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen. In der gesamten Europäischen Union zahlen Arbeitgeber lieber ein Bußgeld als Menschen mit Behinderungen einzustellen.

Es gibt selten amtliche Statistiken über Behinderungen und meist sind diese nicht nach Art der Behinderung, Rasse/ethnischer Herkunft, sexueller Ausrichtung usw. aufgeschlüsselt; zudem liegen kaum Daten zu der Art der Beschäftigung vor, zu der Menschen mit Behinderungen Zugang haben. Man weiß jedoch Folgendes: Nur 50,6 % der Menschen mit Behinderungen sind erwerbstätig (48,3 % der Frauen und 53,3 % der Männer), im Vergleich zu 74,8 % bei Menschen ohne Behinderung. Die neuesten zur Verfügung stehenden Statistiken zeigen, dass nur 20,7 % der Frauen mit Behinderungen Vollzeit erwerbstätig sind, im Vergleich zu 28,6 % der Männer mit Behinderungen. Diese Daten geben allerdings keine Auskunft darüber, wie viele Menschen im offenen Arbeitsmarkt beschäftigt sind, und Menschen mit Behinderungen, die in Heimpflege leben, bei denen es weit unwahrscheinlicher ist, dass sie einer Arbeit nachgehen oder dass sie mit allen Mitteln in die Gemeinschaft eingegliedert werden, sind in diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Weiter unten folgen weitere Daten.

Erwerbstätigkeit ist natürlich nicht der einzige Bereich, in dem Diskriminierung gegen uns Menschen mit Behinderungen weit verbreitet ist. Es ist aber auf jeden Fall ein Bereich, in dem – über die Wahrung gleicher Rechte und Chancen – Veränderungen sowohl für die betroffenen Menschen mit Behinderungen als auch für die gesamte Gesellschaft möglich sind.

Unsere Gesellschaften sind sehr vielfältig. Wir alle haben unterschiedliche Identitäten, Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten, und in der Europäischen Union, die stolz verkündet, im Kampf für die Grundrechte ganz vorne zu stehen, müssten Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung für alle gewährleistet sein, auch für Menschen mit Behinderungen, die selbst eine heterogene Menschengruppe mit verschiedenen, nebeneinander bestehenden Identitäten und unterschiedlichen Fähigkeiten bilden.

Trotz aller gemeinsam vereinbarten Werte und Verträge werden Minderheiten, darunter auch Menschen mit Behinderungen, immer noch weitverbreitet und systemisch ihre Rechte verweigert, angefangen bei Bildung, Zugang zur Justiz, Zugang zu Rechten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, zu den Rechten auf eine eigenständige Lebensführung und ein Leben ohne Gewalt und Missbrauch, auf einen angemessenen Lebensstandard und soziale Absicherung usw. Es ist höchste Zeit, dass wir alle verstehen, dass alle von uns vielfache/sich überschneidende Identitäten besitzen, dass die Durchsetzung von Menschenrechten nicht eine Gunst ist, um die wir andere bitten müssen, sondern das absolute Mindestmaß, das wir uns gegenseitig zuzugestehen haben. Wir sind eine vielfältige Gesellschaft. Diversität ist ein Wert und eine Stärke, dank der wir uns den sich ständig verändernden lokalen und globalen Herausforderungen stellen können. Wir Menschen mit Behinderungen, mit all unseren Talenten und Fähigkeiten, sind eine der Quellen dieser Diversität.

Einer der häufigsten Rechtsverstöße, den wir Menschen mit Behinderungen erleben, ist die Verweigerung unserer Teilhabe. Deshalb hat die Berichterstatterin zur Vorbereitung dieses Berichts Menschen mit Behinderungen sowie deren repräsentativen Organisationen im Rahmen einer Reihe von Gesprächen im Juni und Juli dieses Jahres sowie während des Entwurfsprozesses im August und September um ihre Stellungnahme gebeten. All diese Kollegen stimmten mit uns darin überein, dass es für jeden Menschen entscheidend ist, eine Arbeit zu haben. Einige von ihnen drückten es so aus: Eine erfüllende Erwerbstätigkeit ist definitiv eines der stärksten Zeichen von Inklusion. Das ist sowohl gut für die beschäftigte Person als auch für die Kollegen, die Inklusion in der Praxis erleben! Bildung und Erwerbstätigkeit sind entscheidend, um selbstbestimmt zu leben. Arbeit und Erwerbstätigkeit bedeuten, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft und Kollege, nicht nur ein Empfänger von Beihilfen zu sein. Menschen definieren sich über ihre Arbeit und ihren sinnvollen Beitrag zum Arbeitsleben. In einer idealen Welt würden Arbeit und Erwerbstätigkeit Befähigung, Unabhängigkeit und vollständige Inklusion in die Gesellschaft bedeuten. Danach muss man streben.

Die Berichterstatterin hofft, dass man in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, die Vorteile inklusiver Arbeitsplätze und einer inklusiven Gesellschaft zu sehen, und dass das offizielle EU-Motte „In Vielfalt geeint“ gemeinsam erfüllt werden kann. Es liegt aber noch ein langer Weg vor uns. Wir hoffen auf die Hilfe von Ihnen allen, um dieses Ziel zu erreichen."

Quelle: Katrin Langensiepen, ENTWURF EINES BERICHTS über die Durchsetzung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf unter Berücksichtigung der VN-BRK

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