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Offene Briefe des Österreichischen Behindertenrats

Maßnahmen zu Pflege und Bildung während der Corona-Krise

  • Österreichischer Behindertenrat © Österreichischer Behindertenrat

Der Österreichische Behindertenrat, Dachverband von mehr als 80 Mitgliedsvereinen, hat in zwei offenen Briefen die Situation von Menschen mit Behinderung während der Corona-Krise adressiert und Vorschläge zur Verbesserung eingebracht.  

Brief an BM Anschober: Ergänzungen und Änderungen im COVID-19-Gesetz

In einem Brief an Bundesminister Anschober (Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) lobt der Österreichische Behindertenrat wichtige Initiativen, die gesetzt wurden, um die Auswirkungen der Krise für Menschen mit Behinderungen weniger gravierend ausfallen zu lassen.

Gleichzeitig bringt der Behindertenrat aber essentielle Ergänzungen ein und zeigt grundlegendes Verbesserungspotential auf, so etwa den Umgang mit dem derzeitigen Pflegemangel und dem Wegfall von bezuschussten Sonderbetreuungszeiten aufgrund von (nicht behördlichen) Schließungen vieler Einrichtungen der Behindertenhilfe, der Umgang mit Persönlicher Assistenz in Zeiten der Isolation und des Entgeltens von Assistenz durch Familie/Menschen in Naheverhältnissen.

Diskutiert wird auch das Tragen von Schutzausrüstung in Fällen, da Pflege gegeben sein muss und der Abstand von einem Meter unter unmöglich eingehalten werden kann. 

Lesen Sie hier den ungekürzten Brief vom 30. März 2020

Sehr geehrter Herr Bundesminister Anschober,

wir bedanken uns herzlich bei Ihnen dafür, dass mit dem 2. Covid-19-Gesetz und dem von Ihnen am 24.03.2020 vorgestellten Maßnahmenpaket zur Verhinderung der Pflegekrise in einigen wesentliche Punkten Initiativen gesetzt wurden, um die drohenden negativen Auswirkungen der Corona-Krise auf Menschen mit Behinderungen abzufedern.

Trotzdem sehen wir in einigen Punkten besonders wichtigen Ergänzungs- bzw. Änderungsbedarf.

Zum 2. COVID-19-Gesetz:

In § 18b AVRAG wurde für pflegende Angehörige die Möglichkeit geschaffen, mit dem Dienstgeber eine staatlich bezuschusste Sonderbetreuungszeit zu vereinbaren, wenn die Einrichtungen der Behindertenhilfe aufgrund behördlicher Maßnahmen geschlossen werden.

In der Praxis hat sich jedoch herausgestellt, dass die Bundesländer die Einrichtungen der Behindertenhilfe nicht so einfach behördlich schließen können, da dies zu einer Komplettschließung führen würde und dadurch unter Umständen nicht einmal mehr ein Notbetrieb möglich wäre. Aus diesem Grund wurde von diversen Bundesländern lediglich eine Empfehlung an die Träger abgegeben, die Einrichtungen (bis auf einen Notbetrieb) zu schließen. Dieser Empfehlung sind die meisten Träger gefolgt.

Dies hat nun zur Folge, dass Menschen mit Behinderungen von den Angehörigen zu Hause betreut werden müssen, aber diese Angehörigen nicht den Sonderurlaub, der extra von Ihnen und der Bundesregierung vor einer Woche für die Betreuung von Menschen mit Behinderungen beschlossen wurde, bekommen können. Der Grund ist, dass im Gesetzestext die Notwendigkeit der behördlichen Schließung der Behinderteneinrichtung eine Grundvoraussetzung für die Gewährung des bezuschussten Sonderurlaubes ist.

Da dieser Zustand sicherlich nicht vom Gesetzgeber beabsichtigt war, ersuchen wir Sie eindringlich, eine nochmalige Gesetzesänderung zu initiieren, mit der klargestellt wird, dass es keine behördliche Schließung der Einrichtung braucht, um die Sonderbetreuungszeit nach dem AVRAG in Anspruch nehmen zu können. In der Beilage finden Sie einen legistischen Reparaturvorschlag von uns.

Ein weiteres großes Problem stellt dar, dass der Großteil der Menschen mit Behinderungen in Österreich nicht in Einrichtungen lebt, sondern ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben, teilweise mit Persönlicher Assistenz, führt. Auch hier ist das ganz große Risiko gegeben, dass die Persönliche Assistenz von heute auf morgen, weil die AssistentInnen oder der Mensch mit Behinderungen selbst am Corona-Virus erkranken, wegfällt. Weswegen es auch unbedingt eine gesetzliche Regelung für Angehörige oder in einem Naheverhältnis stehende Personen von Menschen Behinderungen braucht, welche in Zeiten wie diesen besondere Unterstützung zu Hause benötigen, aber diese aus den oben genannten Gründen nicht zur Verfügung haben.

Unserer Meinung nach kann den Unternehmen in Österreich in der momentanen Krisensituation nicht dauerhaft zugemutet werden, dass sie die Kosten für die Freistellung der Angehörigen, welche die Betreuung von Menschen mit Behinderungen übernehmen, zu einem großen Teil selbst tragen müssen. Daher schlagen wir vor, gesetzlich die Möglichkeit einer Karenz, samt Karenzgeld vom Staat, für diese Personengruppe zu schaffen. Damit wäre sichergestellt, dass ALLE Personen, die während der Krise Menschen mit Behinderungen unentgeltlich betreuen, ihr Arbeitsverhältnis behalten können und finanziell abgesichert sind, und gleichzeitig würden auch die Unternehmen entlastet werden. Zur Lösung dieses dringlichen Problems in dieser außergewöhnlichen Krisenzeit, schicken wir Ihnen beiliegend einen legistischen Entwurf für eine solche „Betreuungskarenz“.

Zum Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Verhinderung der Pflegekrise:

Wir wissen, dass Ihnen die Einbindung der Zivilgesellschaft ein ganz besonderes Herzensanliegen ist und deswegen tauschen Sie sich regelmäßig mit den VertreterInnen der Hilfsorganisationen und Betreuungseinrichtungen zum Thema Pflege und insbesondere zur Bewältigung der Corona-Krise persönliche bzw. per Videokonferenz, sowie auch kürzlich am 25.03.2020, aus. Die Einbindung und den Austausch mit der Zivilgesellschaft halten wir für besonders gut und wichtig und bitten Sie daher auch den Österreichischen Behindertenrat als Interessenvertretung der 1,4 Millionen selbstbetroffenen Menschen mit Behinderungen und dauerhaften Erkrankungen mit einzubeziehen. Einerseits entspricht die Partizipation der Interessenvertretungen der Selbstbetroffenen der UN-BRK und andererseits ist insbesondere der Grundsatz „Nichts über uns, ohne uns“ uns ein ganz besonderes Anliegen, weil gerade wir Zeit unseres Lebens das absolute Gegenteil erfahren mussten.

Uns ist auch ein ganz besonderes Herzensanliegen, dass die stationäre Betreuung von Menschen mit Behinderungen, aufgrund des drohenden Versorgungsengpasses bei der Persönlichen Assistenz, weiterhin nur die allerletzte Möglichkeit bleibt. Daher muss das oberste Ziel bei der Umsetzung des Maßnahmenpakets die Aufrechterhaltung der Versorgung von Menschen mit Behinderungen durch Persönliche Assistenz und/oder deren Angehörigen oder sich im Naheverhältnis befindende Personen sein, damit sie weiterhin zu Hause selbstbestimmt leben können.

Ein weiteres wichtiges Anliegen von uns ist, dass im Bereich der mobilen Dienste (z.B. Hauskrankenpflege) und der Persönlichen Assistenz für die Zeit der Krise behördlich angeordnet wird, dass köpernahe Tätigkeiten, wo der Mindestabstand von einem Meter unmöglich eingehalten werden kann, nur mit Schutzausrüstung durchgeführt werden dürfen.

Wie uns der Fall in der Behinderteneinrichtung in Stockerau – die jetzt unter Quarantäne steht – deutlich vor Augen geführt hat, ist es dringend erforderlich, dass allen BetreuerInnen in Behinderteneinrichtungen und im Bereich der mobilen Dienste, sowie den Persönlichen AssistentInnen die erforderliche Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt wird, um eine Ansteckung von Menschen mit Behinderungen und den BetreuerInnen/AssistentInnen mit dem Corona-Virus zu verhindern. Aktuell wird uns jedoch von einigen Mitgliedsorganisationen, wie z.B. dem OÖ Zivilinvalidenverband berichtet, dass sie momentan keine Chance haben ihren Bedarf an Schutzausrüstung am österreichischen Markt zu decken. Daher ersuchen wir Sie eindringlich ihre Anstrengungen beim Erwerb von Schutzausrüstung weiter zu intensivieren, damit eine flächendeckende Versorgung von allen Personen, die eine Schutzausrüstung benötigen, gewährleistet werden kann.

Über einen persönlichen Austausch zu den von uns vorgebrachten Punkten und dem legistischen Entwurf würden wir uns sehr freuen und wir stehen Ihnen jederzeit für allfällige Rückfragen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Herbert Pichler

Präsident des Österreichischen Behindertenrates

Mag.a Dr.in Gabriele Sprengseis, MSc.

Geschäftsführerin des Österreichischen Behindertenrates

Quelle: https://www.behindertenrat.at/2020/03/brief-an-bm-anschober-ergaenzungen-und-aenderungen-im-covid-19-gesetz/

 

In einem Brief an Bundesminister Univ.-Prof. Dr. Faßmann (Bildung, Wissenschaft, Forschung) geht der Österreichische Behindertenrat auf die Problematik der Schulstoffvermittlung in der Zeit der Schulschließung ein. Teileweise neue und zu schwere Inhalte würden derzeit den Schüler*innen vermittelt werden, was zu Stresssituationen in Familien führen kann. An barrierefreien E-Learning Prozessen sowie barrierefreien Informationen für Eltern mangle es noch.

 

Lesen Sie hier den ungekürzten Brief vom 27. März 2020

Offener Brief ans Bildungsministerium: Überforderung im Heimunterricht / fehlende Barrierefreiheit

Sehr geehrter Herr Bundesminister Univ.-Prof. Dr. Faßmann,

Die Corona-Krise hat uns alle fest im Griff. In dieser Ausnahmesituation hat das Bildungsministerium rasch und umsichtig notwendige Maßnahmen ergriffen, um Schüler*innen und Studierenden die Möglichkeit zu bieten, zu Hause zu bleiben und auch dort Unterricht erhalten zu können. Der bisherige Lernstoff soll lediglich vertieft werden, es soll kein neuer Lernstoff durchgenommen werden.

Dem Österreichischen Behindertenrat sind jedoch seitens seiner Mitgliedsorganisation pro mente Austria Meldungen aus Kärnten, Wien und Niederösterreich zugetragen worden, wonach diese Vorgaben nicht immer eingehalten werden.

Es werden teilweise zu viele und zu schwere Aufgaben mit einem sehr engen zeitlichen Horizont gestellt. Berichtet wird unter anderem von Aufgaben, von denen die Schüler*innen noch nie gehört haben, sowie von vollkommen neuen Inhalten. Das widerspricht den eindeutigen Vorgaben des Bildungsministeriums. Die Bearbeitungszeiten seien so eng, dass auch über das Wochenende (Abgabe an Sonntagen) gearbeitet werden müsse.

Hier gilt zu bedenken, dass viele Kinder und Jugendliche noch nicht gewohnt sind, ihre Zeit eigenständig zu strukturieren und daher mit der zeitlichen Einteilung zur Bewältigung der Aufgaben überfordert sind. Zudem sind zahlreiche Eltern mit der Unterstützung ihrer Kinder bei den Aufgabenstellungen überfordert. Es mangelt in Anbetracht der vielfachen Heimarbeit nicht nur an zeitlichen Ressourcen, sondern auch an geeigneten Arbeitsplätzen zu Hause bzw. an der notwendigen Infrastruktur. Um allen Schüler*innen einen fairen Zugang zu Bildung zu ermöglichen, braucht es die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die digitale Ausstattung.

Insbesondere für Familien von Menschen mit Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen stellen diese Umstände massive Barrieren dar. Die Umstände bieten sehr viel Konfliktpotential und können in weiterer Folge zu erhöhter familiärer Gewalt führen.

Der Österreichische Behindertenrat bittet sie eindringlich, einheitliche und klare Regelungen für einen barrierefreien E-Learning Prozess aufzustellen und die Aktivitäten dazu auch zu kontrollieren. Zudem braucht es barrierefreie Informationen für die Eltern, wohin sie sich wenden können, wenn sie mit den beschriebenen Problemen konfrontiert sind.

Die Menschen sind durch die angespannte Situation und die ungewisse Zukunft aktuell einem enormen Druck ausgesetzt. Dieser darf Menschen mit Behinderungen nicht übermäßig treffen und soll sich nicht bei den Kindern und Jugendlichen in der Familie entladen.

Mit ganz besonderen Grüßen

 

Herbert Pichler

Präsident des Österreichischen Behindertenrates

Mag.a Dr.in Gabriele Sprengseis, MSc

Geschäftsführerin des Österreichischen Behindertenrates

Quelle: https://www.behindertenrat.at/2020/03/offener-brief-ans-bildungsministerium-ueberforderung-im-heimunterricht-fehlende-barrierefreiheit/

 

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