BSVÖ im Fokus: Kein Unterricht notwendig – Brailleschrift längst überholt?
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BSVÖ im Fokus: Kein Unterricht notwendig – Brailleschrift längst überholt? Grafik von Händen, die Braille ertasten
Im BSVÖ-Fokus Monat Oktober beschäftigen wir uns mit dem Jubiläum des Jahres: 200 Jahre Brailleschrift. Aber muss man es nach 200 Jahren auch einmal gut sein lassen? Immer wieder ist zu hören, dass die Brailleschrift längst von besseren und modernen Technologien abgelöst wurde. Ist da was Wahres dran, oder sollten wir die Brailleschrift auch weiterhin hochhalten?
Gleich vorweg: Dass die Brailleschrift als eines der erprobtesten und effizientesten Mittel zur Alphabetisierung blinder und stark sehbehinderter Menschen zählt, steht wohl außer Frage. Ebenso, dass die Beherrschung von Braille für mehr Selbstbestimmung und Teilhabe sorgt, sofern sie auch Anwendung im täglichen Leben findet. Von Beschriftungen auf Medikamentenpäckchen über Orientierungspläne, von Druckwerken über Spiele: Braille ist vielseitig einsetzbar und bringt denen, die es beherrschen, den entscheidenden Vorteil der Information.
Dennoch wird Braille auch in Ländern, in denen Behindertenrechtskonvention (CRPD) gilt, nicht in dem Maße unterrichtet, wie es notwendig wäre. Fehlende Ressourcen werden dabei, wie ein Artikel mit dem Titel „Braille-Alphabetisierung als Menschenrecht: Eine Herausforderung für das Argument der ‚Ineffizienz‘ gegen den Braille-Unterricht“ aus 2022 zeigt, oft dadurch begründet, dass Braille ohnehin ein nicht mehr effektives Hilfsmittel ist, das schon längst durch neue Technologien ersetzt werden könnte.
In dem Artikel heißt es:
„Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) bekräftigt das Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderungen und zielt darauf ab, Blinden eine Braille-Ausbildung zu gewährleisten. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die Braille-Ausbildung in CRPD-Ländern oft umgangen oder frühzeitig abgebrochen wird, da sie als ineffizientes Lernmedium für blinde Schüler angesehen wird. Diese Auffassung hält sich trotz unzureichender empirischer Belege und mangelnden Verständnisses für die Effizienz des Lesens im Vergleich zum Hören beim Lernen bei sehenden Menschen.“
Eine vorangegangene Untersuchung beschäftigte sich mit der Effizienz des Lernens schriftlicher gegenüber gesprochenen Wörtern bei blinden und sehenden Proband:innen. Heraus kam, dass das Argument der Unwirtschaftlichkeit gegen den Braille-Unterricht unbegründet ist: Das Erlernen von Wörtern in Braille ist für blinde Menschen nicht weniger effizient als das auditive Erlernen von bis dahin unbekannten Wörtern.
Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass durch die Anwendung von Braille die Buchstabenerkennung, das Textverständnis, die Rechtschreibung und das Layoutbewusstsein unterstützt und gefördert werden.
So positiv und wichtig Hilfsmittel wie Screenreader mit Sprachausgabe und die Digitalisierung verschiedenster Prozesse geworden sind, so wichtig bleibt Braille auch als taktiles Schriftsystem, das selbstbestimmtes Lesen und Schreiben ohne Ton ermöglicht und hierbei die Alphabetisierung fördert.
Die Brailleschrift bleibt also auch nach 200 Jahren noch ein bedeutendes Element der Teilhabe und der Selbstermächtigung blinder und sehbehinderter Menschen weltweit.
Weiterführend:
Link zum: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36124674/