BSVÖ im Fokus: Brailleschrift: Was darf’s sein – klassisch oder elektronisch?
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BSVÖ im Fokus: Brailleschrift: klassisch oder elektronisch? Grafik von Händen, die einen Brailetext ertasten.
Im BSVÖ-Fokus Monat Oktober nehmen wir den Tag des Weißen Stocks am 15.Oktober zum Anlass, das Jahresthema „200 Jahre Brailleschrift“ weiterhin zu feiern. Im Mittelpunkt stehen spannende und erkenntnisreiche neue Studien und Forschungen zur Punktschrift. Diese Woche im BSVÖ-Fokus: klassisches Braille am Papier oder doch lieber elektronische Braillezeile? Welche Methode ist im Alter bevorzugt?
Ein im Februar 2021 veröffentlichter Forschungsartikel von Natalia Martiniello und Walter Wittich an der Université de Montréal (Kanada) hat sich mit den Auswirkungen von Lesegewohnheiten und Lesevorzügen von Braille im Alter beschäftigt und hierzu den Einfluss des Lesemediums (Papier vs. Braillezeile) auf die Genauigkeit und Geschwindigkeit von sechs Braille-Lernenden im erwerbsfähigen Alter und älteren Erwachsenen untersucht. Das Ergebnis? Wir haben es für Sie zusammengefasst!
Mit zunehmendem Alter nimmt die taktile Sensibilität der Finger ab – ein Umstand, der das Erlernen und Nutzen der Brailleschrift erschweren kann. Dennoch ist Braille gerade für Erwachsene und ältere Menschen mit erworbener Sehbeeinträchtigung ein unverzichtbares Mittel zum Lesen und Schreiben.
Neue, kostengünstige elektronische Braillezeilen bieten hier Chancen: Sie arbeiten mit etwas höheren Punkten als die klassische Papierbraille und könnten dadurch für Personen mit nachlassender Tastempfindung leichter erfassbar sein.
Die Ergebnisse zeigen:
- Braillezeilen bieten Vorteile. Die Teilnehmer:innen lernten Buchstaben auf dem Display schneller (Ø 44,2 Sekunden) und genauer (Ø 83 % richtig) als auf Papier (Ø 54,3 Sekunden, Ø 80,6 % richtig).
- Der Wechsel zwischen den Medien ist weitgehend unproblematisch. Beim Umstieg verbesserten sich die Werte meist sogar – die Lesegeschwindigkeit stieg im Schnitt um 11,2 %, die Genauigkeit um 2,4 %.
- Besonders beim Lesen von Buchstabenkombinationen zeigte sich der größte Vorteil des Displays: Die Lesezeiten auf der Braillezeile waren für Buchstabenpaare im Durchschnitt 19,4 s schneller als auf Papier (eine Reduzierung um 26,8 %), und die Genauigkeit verbesserte sich im Durchschnitt um 6,5 %. Bei einzelnen Buchstaben waren die Unterschiede weniger ausgeprägt: Die Lesezeit auf der Anzeige war nur 0,68 s schneller (eine Reduzierung um 1,9 %), und die Genauigkeit verbesserte sich nur um 2 %.
Fazit
Die Studie umfasste zwar nur eine relativ kleine Testgruppe. Dennoch lässt sie auf Ergebnisse schließen, die relevant sind und den Einsatz von Braillezeilen als unverzichtbares Hilfsmittel untermauern: Die Braillezeile kann dazu dienen, Gelernte zu festigen und Frustrationen in der Lernphase zu verringern. Besonders, wenn die Technik schon früher zum Einsatz kommt, ist ein Umstieg einfacher. Die frühe Integration von Lernprozessen ist hier der Schlüssel zum Erfolg, was, wie auch der BSVÖ regelmäßig betont, eine der grundlegenden Säulen der Teilhabe ist. Barrierefreie und qualitativ hochwertige Bildung vom Kindergarten weg bis ins hohe Alter muss blinden und sehbehinderten Menschen niederschwellig zugänglich sein. Wenn beides – das Lesen auf Papier und via Braillezeile – schon früh in den Lernprozess eingebunden wird, beeinträchtigt die frühzeitige Verwendung einer Braillezeile die Fähigkeit der Lernenden, auf Standard-Braille auf Papier umzusteigen, nicht.
Hier geht’s zur Studie (englisch):
https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0264619621990702?utm