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BSVÖ: MINT barrierefrei studieren?

  • mint © BSVÖ

Wenn Wissenschaft hörbar, tastbar und zugänglich wird...MINT-Fächer – also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – stehen für Innovation, Zukunft und gute Berufschancen. Doch blinden und sehbeeinträchtigten Menschen bleibt dieser Bildungsweg oft verwehrt. Nicht, weil das Interesse fehlt, sondern weil viele Labore und Lehrmaterialien nicht barrierefrei zugänglich sind.

Barrieren im Labor

Labors sind im MINT-Bereich unverzichtbar. Experimente durchführen, Daten erfassen, Geräte bedienen, all das gehört zum Studienalltag. Doch wer nicht sehen kann, steht oft am Rand: Während andere messen, beobachten und dokumentieren, bleiben blinde und sehbeeinträchtigte Schüler:innen und Studierende oft in einer passiven Rolle. Das erschwert nicht nur das Verständnis, sondern auch die Motivation MINT-Fächer überhaupt zu wählen.

In der Schule wird mitunter mit 3D-Modellen oder multisensorische Lernmaterialien gearbeitet, doch im Hochschulbereich fehlen oft die Voraussetzungen für eine barrierefreie Lehre. Wir haben recherchiert und an österreichischen Universitäten und Fachhochschulen nachgefragt. Oft hört man dann seitens des Vizerektorats für Lehre: „Wir hatten bisher keine Anfragen von blinden Interessenten.“ „Sehbeeinträchtigt könnte funktionieren, aber blind sicher nicht.“ Oder auch: „Das mit den Laborübungen wird schwierig werden.“ Barrierefreiheit darf nicht vom Einzelfall abhängen, sie muss von Anfang an mitgedacht werden. Nur so wird echte Teilhabe möglich.

Zwar arbeiten viele blinde Studierende mit sehenden Laborpartner:innen oder Assistenzpersonen zusammen, doch ihre Rolle bleibt meist passiv. Ohne passende Technologien oder didaktische Konzepte fehlt die Möglichkeit selbst aktiv zu experimentieren und Verantwortung zu übernehmen. Denn es gibt es längst konkrete Lösungen.

Internationale Best Cases

Purdue University (USA) - Talking LabQuest: Von Independence Science wurde in Zusammenarbeit mit der Purdue University das „Talking LabQuest“ entwickelt. Dieses Messgerät lässt sich mit über 75 verschiedenen Sensoren koppeln, um Daten aus Bereichen wie Biologie, Chemie, Physik oder den Umweltwissenschaften zu erfassen. Die Messergebnisse werden unmittelbar akustisch ausgegeben und gleichzeitig gespeichert; so können Nutzer:innen selbstständig experimentieren und Daten auswerten, ohne auf visuelle Displays angewiesen zu sein.

Universität Marburg (Deutschland) - Barrierefreier MINT-Arbeitsplatz: Die Philipps-Universität Marburg hat einen barrierefreien MINT-Arbeitsplatz für blinde und sehbeeinträchtigte Studierende geschaffen, ausgestattet mit taktilem Zeichenbrett, Tactonom Reader (ein interaktives Graphiklesegerät) und Schwellkopierer. Damit lassen sich digitale Graphiken in tastbare Darstellungen verwandeln.

Ziel ist es, einen inklusiven Zugang zu Studieninhalten in allen MINT-Fächern zu ermöglichen. Dieser Arbeitsplatz ist Teil des Projekts Math4VIP. Einer der Projektleiter, Kai Kortus, der selbst blind ist, betont die Wichtigkeit den Übergang von der Schule zur Hochschule barrierefrei zu gestalten, damit ein Studium der MINT-Fächer zu einer erfolgversprechenden Alternative wird. Weiters werden gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Standards für die barrierefreie Darstellung mathematischer Inhalte entwickelt.

Werkzeuge und Strategien für barrierefreies Lehren

Barrierefreiheit im MINT-Unterricht ist kein Zufall, sondern sie braucht gezielte Planung und passende Mittel. Hier einige erprobte Ansätze:

  • Sprachunterstützte Messgeräte: Talking LabQuest, sprechende Thermometer oder Waagen mit Sprachausgabe erleichtern die selbstständige Laborarbeit.
  • Taktile Materialien: Molekülbaukästen, tastbare Diagramme und 3D-Modelle machen Abstraktes greifbar.
  • Barrierefreie Formeldarstellung: LaTeX mit MathML-Struktur oder Software wie MathType oder EquatIO kann Formeln zugänglich machen, vorausgesetzt, Pädagog:innen sind entsprechend geschult. Denn mathematische Inhalte sind für blinde Lernende oft schwer verständlich und müssen gezielt didaktisch aufbereitet werden.

Unser Fazit: Vom Abwarten zum Mitgestalten

Inklusive Lehre muss auch in den MINT-Studien zur Selbstverständlichkeit werden. Schulen und Hochschulen müssen über barrierefreie Werkzeuge verfügen und sie konsequent einsetzen. Nur so wird echte Teilhabe möglich.

Blinde und sehbeeinträchtigte Menschen wollen keinen Sonderstatus, sondern gleichberechtigten und inklusiven Zugang zu allen Aspekten des Studiums. MINT-Fächer bieten attraktive Perspektiven. Damit auch blinde Menschen diese Chancen nutzen können, braucht es den Willen zur Veränderung: in der Lehre, an den Hochschulen und in der Bildungspolitik.

Links

Talking Lab Quest: https://www.purdue.edu/newsroom/archive/releases/2021/Q3/independence-science-receives-award-from-national-federation-of-the-blind-for-making-science-more-accessible.html

Universität Marburg:

https://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/2023/grafiken-zum-ertasten-erleichtern-studium-fuer-blinde-und-sehbehinderte

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