Ö1 punkt eins: Digitale Barrierefreiheit - Sendung mit Susanne Buchner-Sabathy und Aaron Banovics
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"Ö1 Punkt eins: Sendung mit Susanne Buchner-Sabathy und Aaron Banovics"
Logos BSVÖ und Ö1, Foto aus dem Aufnahmestudio am Küniglberg mit Susanne Buchner-Sabathy und Aaron Banovics.
Am 24.6.2025 waren Dr. Susanne Buchner-Sabathy, digitale Barrierefreiheitsexpertin des Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ), und Aaron Banovics, Inklusionscoach, Behindertenanwaltschaft (in Karenz), zu Gast bei punkt 1, um über das neue Barrierefreiheitsgesetz (BaFG), sein Potential und seine Lücken zu sprechen. Barrierefreie Sportgeräte, Übergangsfristen und Wirtschaftsinteressen kamen dabei aber auch zur Sprache …
Unter der Moderation von Marina Wetzlmaier stand die große Frage im Mittelpunkt: Schafft das neue Barrierefreiheitsgesetz wirklich Barrierefreiheit, die alle betrifft?
Soviel kann wohl schon vorweggenommen werden: Nein, das wird nicht der Fall sein. Barrierefreiheit ist so gut wie nie zu erreichen, denn natürlich bringt jeder Mensch eigene Anforderungen und Bedürfnisse mit – ein Umstand, den ein Zuhörer auch per Mail anmerkte. Aber dennoch können durchaus sinnvolle und wichtige Maßnahmen zum Abbau von Barrieren und zum Erreichen einer inklusiveren Gesellschaft gesetzt werden – genau hier soll das neue Barrierefreiheitsgesetz greifen.
Das BaFG umfasst folgende Maßnahmen:
- Barrierefreiheitsanforderungen für Dienstleistungen und Produkte sind festgelegt
- Unternehmen werden dazu verpflichtet, ihre Produkte und Dienstleistungen dem Gesetz entsprechend anzupassen
- Eine Marktüberwachung im Bereich des Sozialministeriumservice (SMS) wird eingerichtet.
Das BaFG gibt Grund zur Hoffnung, lässt aber dennoch viele wichtige Bereiche unberührt, so etwa die bauliche Umwelt. Fehlende Maßnahmen für bessere Verständlichkeit durch die Vorschreibung von Leichter Sprache (das geforderte B2 Sprachniveau ist sehr hoch angesetzt) sind neben zu langen Übergangsfristen Punkte, die das Gesetz schwächen und die von vielen Interessenvertreterorganisationen kritisiert werden.
Aaron Banovics, der die Genese der Gesetzgebung aufmerksam verfolgte, bringt im Gespräch den Aspekt ein, dass der Hintergrund für das BaFG wohl eher wirtschaftlichen Interessen entsprechen würde. Der Binnenmarkt kann belebt werden, wenn durch Harmonisierungen Handelsbarrieren abgebaut werden. Für Menschen mit Behinderungen ergebe sich in diesem Fall durch neue Maßnahmen zur Förderung von Barrierefreiheit zwar ein positiver Nebeneffekt durch neue Schutzbestimmungen, im Fokus seien aber dennoch Wirtschaftsinteressen gestanden.
Dass im Bereich digitaler Services auch großes Potential zur Inklusion besteht, betonte Dr. Buchner-Sabathy; der Vorteil von digitalen Medien gegenüber Papier liege auch in ihrem Code, der eine zweite Ebene der Informationsvermittlung eröffne. Wenn dieser allerdings fehlerhaft oder ungenügend strukturiert und ausgeführt ist, ist auch die Barrierefreiheit dahin. Und von digitalen Barrieren, die sich auf Webseiten und bei Anwendungen und digitalen Services plötzlich auftun, können blinde und sehbehinderte Menschen ein Lied singen.
So wurde von Hörer:innen der Sendung die Handhabe verschiedener Applikationen bemängelt, darunter auch die ID-Austria, die sich nicht in allen Funktionen von allen Nutzer:innen barrierefrei bedienen ließe, gleichzeitig aber ein für viele Prozesse notwendiges Tool darstellt. Auch fehlende Barrierefreiheit bei Sportgeräten oder bei schlecht positionierten Bankomaten waren Thema der Diskussion.
Was aber kann getan werden, wenn Barrieren auftreten?
Initiative ergreifen! sind sich Susanne Buchner-Sabathy und Aaron Banovics einig. Jede Art der Meldung ist sinnvoll und kann Veränderung bringen. So hilft es, der Bank Rückmeldung zu geben, wenn der Geldautomat aufgrund seiner Position und Ausleuchtung schlecht bedienbar ist, wenn Formulare auf Webseiten nicht funktionieren oder Produkte einfach nicht barrierefrei gedacht sind. Auch vor Schlichtungen solle nicht zurückgeschreckt werden.
Beschwerden bei der Monitoringsstelle der FFG (https://www.digitalbarrierefrei.at/de/monitoring/monitoringstellen-in-oesterreich) sind wichtig, brachte Dr. Buchner-Sabathy ein. Die Stelle prüft in der Folge, ob es sich um einen Verstoß gegen das Webzugänglichkeitsgesetz handelt.
Die technischen Mittel stehen zur Verfügung, so der Konsens der Expert:innen, nur mit der Umsetzung werde noch gezögert. Worauf also warten beim Abbau von Barrieren?
Hören Sie die ganze Sendung unter: https://oe1.orf.at/player/20250624/798217?origin=oe1.orf.at oder https://oe1.orf.at/programm/20250624/798217/Barrierefrei-im-Internet
Aus dem Ankündigungstext (Ö1):
Schafft das Barrierefreiheitsgesetz eine inklusive e-Welt? Gäste: Dr. Susanne Buchner-Sabathy, Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ) & Aaron Banovics, Inklusionscoach, Behindertenanwaltschaft (in Karenz). Moderation: Marina Wetzlmaier. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at
Verschiedene Schriftgrößen, gute Kontraste, Alternativtexte bei Bildern, Videos mit Untertiteln, die Möglichkeit sowohl mit Maus als auch mit Tastatur zu navigieren, Inhalte in Leichter Sprache, eine klare Struktur auf der Website. Maßnahmen wie diese machen Internetseiten und Apps für Menschen zugänglich und nutzbar, unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht.
Der barrierefreie Zugang ist in Österreich bereits für Webauftritte der öffentlichen Hand gesetzlich vorgeschrieben. In vier Tagen, am 28. Juni, tritt zudem das Barrierefreiheitsgesetz in Kraft. Es verpflichtet Unternehmen, digitale Produkte und Dienstleistungen, die für Menschen mit Behinderungen als besonders wichtig eingestuft werden, nach europaweit einheitlichen Standards anzubieten. Das betrifft u.a. Computer, Selbstbedienungsterminals, Smartphones, Bankdienstleistungen, Webshops, elektronische Ticketdienste, E-Book-Lesegeräte und Reiseportale. Grundlage dafür ist die EU-Richtlinie über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, oder European Accessibility Act, aus dem Jahr 2019.
"Es ging hier um wirtschaftliche Aspekte. Zum Beispiel darum, dass ein Produkt aus Frankreich auch in Österreich als barrierefrei verkauft werden darf", sagt Aaron Banovics. Er engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich und wissenschaftlich im Bereich Inklusionsarbeit. Von 2014 bis 2024 war er stellvertretender Büroleiter der Behindertenanwaltschaft. Zur EU-Richtlinie hat er selbst Stellungnahmen verfasst. Banovics betont, dass Österreich mit dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz von 2006 eine Vorreiterrolle in Europa eingenommen hat. Mit dem neuen Barrierefreiheitsgesetz komme es zu Veränderungen, aber gleichzeitig bleibe einiges beim Alten, sagt er.
Susanne Buchner-Sabathy erfuhr durch ihre eigene Erblindung, dass sie bei der Internetnutzung auf Hürden stieß. Die promovierte Sprachwissenschaftlerin begann sich technisch mit digitalen Barrieren und mit Lösungen zu beschäftigen. „Die technischen Mittel haben wir. Die Barrieren, die es gibt, sind in den Köpfen“, sagt sie. Oft fehle das Wissen darüber, dass auch mit wenig Aufwand die digitale Welt inklusiver gestaltet werden kann. Als Beispiel nennt sie Bildbeschreibungen mittels Alternativtexten. Buchner-Sabathy ist im Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ) u.a. als Beraterin für digitale Barrierefreiheit aktiv. „Es gibt Hürden der Wahrnehmbarkeit und Hürden der Bedienbarkeit“, stellt sie fest. Ein Webauftritt soll einladend, übersichtlich und leicht bedienbar für alle sein. Auch die Verständlichkeit und die bauliche Umwelt von elektronischen Geräten sind wichtige Faktoren. Aber was heißt verständlich und zugänglich genau?
Weiterleitende Links:
Ö1 punkt eins: https://oe1.orf.at/programm/20250624/798217/Barrierefrei-im-Internet
Webseite Dr. Buchner-Sabathy: www.sabathy.at
Wissenschaftliche Publikationen von Aaron Banovics: https://univie.academia.edu/AaronBanovics
FFG Monitoringsstelle: https://www.digitalbarrierefrei.at/de/monitoring/monitoringstellen-in-oesterreich
BIZEPS zum neuen BaFG: https://www.bizeps.or.at/eu-richtlinie-umgesetzt-oesterreich-bekommt-neues-barrierefreiheitsgesetz/
BSVÖ: https://www.blindenverband.at/de/aktuelles/2534/BSVOe-Countdown-zu-mehr-Barrierefreiheit
ÖBR Fachkonferenz: https://www.bizeps.or.at/oebr-fachkonferenz-2025-barrierefreiheitsgesetz-bringt-neue-pflichten-und-chancen/