BSVÖ-Fokus: Alltagsbarrieren. Einkaufslust & Einkaufsfrust
Der Juni steht ganz im Zeichen des 6.6. – des Tags der Menschen mit Sehbehinderung. Wir nehmen den Aktionstag zum Anlass, uns im BSVÖ-Fokus mit weniger offensichtlichen Barrieren im Alltag blinder und sehbehinderter Menschen zu beschäftigen. Den Anfang macht ein Thema, das für viele Menschen pure Freude bedeutet – für blinde und sehbehinderte Personen aber zur Nervenprobe werden kann. Die Rede ist vom Einkaufen.
Ab ins Shoppingvergnügen!
Für viele gehört er am Samstag dazu wie das Amen im Gebet: ein ausgedehnter Einkaufsbummel durch die Innenstadt oder das Einkaufszentrum der Wahl, womöglich ohne konkrete Vorstellungen darüber, was schlussendlich im Einkaufssack enden soll, aber mit dem Wunsch, sich etwas zu gönnen. Auslagen locken ebenso wie Saisonware im Geschäft, Angebote versprechen Schnäppchenjäger:innen das große Glück.
Wer sich als blinder oder stark sehbehinderter Mensch ins Shoppingvergnügen stürzen will, wird aber meist recht schnell in der großen Freude am Stöbern und Finden gebremst. Das hat mehrere Gründe.
Warenlabyrinthe
Einkaufsgeschäfte sind darauf ausgerichtet, ihren Kund:innen die vorhandene Ware zu präsentieren, und das geschieht in erster Linie auf visueller Ebene. Geschäfte mit Bedienung sind ein Auslaufmodell; Selbst durch Wühltische graben und die Ware in einer meist enorm breiten Auswahl zu finden, ist die Regel. Das betrifft sowohl Bekleidungsgeschäfte als auch den allgemeinen Handel. Wer die Ware nicht sieht, ist klar im Nachteil und hat nicht viel davon, sich durch enge Gänge zu drängen, um erhoffte Schnäppchen zu entdecken. Die Lösung: online fündig werden?
Bestellen ganz einfach?
Inzwischen sind die internetbasierten Verkaufsplattformen umfangreich ausgebaut und viele Anbieter verkaufen ihre Waren nicht nur in den Geschäftsflächen, sondern auch in Onlineshops. Auf den ersten Blick die Lösung für das Problem, vor Ort als blinder oder stark sehbehinderter Mensch nicht selbstbestimmt einkaufen zu können! Schnell wird aber auch hier oft mit Barrieren Bekanntschaft gemacht. Onlineshops, die nicht auf digitale Barrierefreiheit geprüft worden, erwarten die Nutzer:innen gerne mit einer Vielzahl an digitalen Hürden. Fehlende Barrierefreiheitsmaßnahmen machen das Online-Shoppingvergnügen zum Frusterlebnis, wenn Bestellprozesse nur durchgeführt werden können, wenn „mit der Maus“ bedient wird, wenn Buttons und Links nicht funktionieren, Alt-Texte fehlen oder wichtige Informationen nur in Bildform hinterlegt sind. Viele Onlineshops sind nicht nutzbar, wenn man auf einen Screenreader angewiesen ist, was schlussendlich dazu führt, dass potentielle Kund:innen vergrault werden und, ohne einen Einkauf getätigt zu haben, die App oder Webseite wieder schließen.
Milch, Eier, Mehl …
Auch Konsum, der Grundbedürfnisse bedient, ist für blinde und sehbehinderte Menschen oft mit Hürden verbunden. Wer einfach nur seinen täglichen Einkauf beim Lebensmittelhandel tätigen will, um abends nicht hungrig ins Bett gehen zu müssen, erlebt auch hier beim Versuch des selbstbestimmten Einkaufens Barrieren auf allen Ebenen. Wie das Vanillejoghurt finden, auf das man seit Tagen Gusto hat, oder wie das richtige Brot? Viele Menschen mit Sehbehinderungen haben für das Einkaufen ihre Strategien zurechtgelegt und finden sich in vertrauten Märkten gut zurecht. Sobald es aber zur Umstellung der Ware kommt, wird das Einkaufen schnell zum zeitintensiven Suchlauf. Inzwischen helfen verschiedene Apps und tragbare Technik beim Erkennen von Waren; Dennoch bleibt das Einkaufen in seltenen Fällen ein schneller Sprung zum Lebensmittelhandel ums Eck. Es muss einiges an Zeit eingeplant werden, um wirklich alles zu bekommen, was man braucht. Preisänderungen werden aber oft erst am Kassenzettel entdeckt und oft genug landen Produkte im Einkaufswagen, die dem eigentlich gewünschten Produkt nur ähneln.
Einkaufshelferchen
- Produkterkennungsapps sind hilfreiche Begleiter beim Einkaufen. Apps wie SoVi, Seeing AI oder auch Barcoo können das Einkaufserlebnis erheblich verbessern.
- Manche größere Märkte bieten die Möglichkeit, sich von Mitarbeiter:innen beim Einkauf begleiten zu lassen.
- Onlineshops können, wenn sie barrierefrei strukturiert sind, den Einkauf erleichtern. Zwar fällt das Erlebnis mit, direkt im Geschäft die Ware auszusuchen und zu ertasten, was vor allem bei frischer Ware einen großen Vorteil bringt. Andererseits kann es auch Vorteile bringen, sich die Ware bequem nach Hause liefern zu lassen und genau das zu erhalten, was man braucht.
Fazit
Shopping ist mit vielen Barrieren verbunden, die es für blinde und sehbehinderte Menschen schnell zum Frusterlebnis werden lassen. Da das Angebot meist auf visuelle Reize und Strukturen baut und ein Stöbern, ohne die Ware zu sehen, meist nicht zielführend ist, bleibt oft nur die Möglichkeit, in Begleitung einkaufen zu gehen. Onlineshops, die keine digitalen Barrieren aufweisen und deren Produkte ausführlich beschrieben und nicht nur auf Bildern dargestellt werden, können das Einkaufserlebnis erheblich verbessern. Dafür ist allerdings das Bestreben der Anbieter notwendig, ihre Apps und Webseiten regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen, damit Screenreader-Nutzer:innen ohne Barrieren bis zum erfolgreichen Kaufabschluss gelangen können.
Für Geschäfte und Verkaufslokale kann Inklusion in Form von baulicher Barrierefreiheit (etwa taktilen Bodeninformationen oder Informationen im Mehrsinneprinzip) ebenso gefördert werden wie durch geschulte Mitarbeiter:innen, die als Einkaufshelfer:innen zur Verfügung stehen.