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BSVÖ Mehrsinne Mittwoch - So sieht’s aus: Müssen Sie das wissen wollen

  • mehrsinne mittwoch © bsvö

Man sagt, der erste Eindruck zählt – was immer das heißen mag. Was macht ihn aus, diesen ersten Eindruck? Welche Merkmale nehmen Sie wahr, woran erkennen Sie einen Menschen wieder? Das Aussehen spielt sicherlich eine Rolle. Aber ist es die wichtigste?

„Schönen guten Morgen! Ich bin eine schlanke Frau Anfang 20 mit langen blonden Haaren. Ich trage eine Brille mit dickem schwarzem Rahmen und einen pinken Blazer. Heute stelle ich Ihnen meine Studie über das Sozialleben von Giraffen vor.“ Haben Sie so eine Einleitung schon einmal gehört – bei einem Kongress vielleicht, oder einem Webinar? Wenn ja, dann sicherlich nicht von mir. Einerseits, weil nichts davon auf mich zutrifft. Vor allem aber, weil ich zu meiner Schande bis vor Kurzem nicht wusste, dass das in manchen Kreisen als Muss für Inklusion und Barrierefreiheit bei Präsentationen gilt.

Skepsis auf den zweiten Blick

Als ich diese Gepflogenheit dann im Rahmen einer Veranstaltung kennengelernt habe, war es mir zunächst zutiefst peinlich, dass mir in über 10 Jahren enger Zusammenarbeit mit blinden und sehbehinderten Menschen nicht ein einziges Mal die Idee gekommen war, ihnen derartige Informationen über mein Aussehen zu liefern. Und dennoch: Irgendetwas in mir hat sich beim Gedanken daran, eine solche Selbstbeschreibung künftig als Standardeinleitung einer jeden sich bietenden Gelegenheit zu machen, gewaltig gesträubt.

Ausschlaggebend dafür war im Wesentlichen eine Überlegung: Wenn es angeblich so wichtig ist zu wissen, wie eine Person aussieht, warum hat mich dann in der ganzen Zeit nie jemand darauf aufmerksam gemacht, dass das eine gute Sache wäre – nämlich weder freundschaftlich-kollegial im Guten, noch im vorwurfsvoll-fehlersuchenden Bösen? Und weiter: Ja, als Frau ohne Sehbehinderung kann ich bestätigen, dass ich das Aussehen einer Person, die ich treffe, wahrnehme und das auch unweigerlich zu dem berühmt berüchtigten ersten Eindruck beiträgt – ob ich will, oder nicht. Aber kann ich diesen Eindruck mit einem Satz über eine Handvoll mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Merkmale meines äußeren Erscheinungsbildes auch nur ansatzweise authentisch vermitteln? Ich denke nicht. Aber selbst, wenn: Wie anmaßend ist es eigentlich anzunehmen, es sei ein Nachteil, mich nicht sehen zu können?

Wieder einmal mehr als nur ein Sinn

Damit meine ich nicht meinen Anblick im Speziellen. Der ist selbstverständlich unverzichtbar. Ich hoffe, Sie hören an dieser Stelle den Zwinker-Smiley, den ich mich aus stilistischen Gründen nicht traue tatsächlich einzusetzen. Ist es Ihnen aufgefallen? Um von diesem Satz den richtigen Eindruck zu bekommen, war es absolut nicht am wichtigsten, ihn zu sehen. Um zu erfahren, was da steht, hätten Sie ihn genauso gut ertasten oder vom Screenreader vorlesen lassen können. Vielleicht haben Sie das auch gemacht. Aber eines haben alle drei Möglichkeiten gemeinsam: Damit Sie erkennen, wie ich ihn meine, wäre der direkteste Weg gewesen, ich hätte ihn mit dem passenden Tonfall vorgelesen. Wenn Sie mich persönlich kennen, wäre das vielleicht nicht notwendig, weil Sie meine Stimme bei dieser Art von Aussagen im Ohr haben.

Wenn Sie mich träfen, würden Sie mich wahrscheinlich auch an meiner Stimme erkennen. Und zwar nicht, weil ich eine so besonders markant kreischende habe – zumindest hoffe ich das -, sondern weil wir alle akustisch genauso charakteristische Merkmale haben wie visuell. Manchmal geht das sogar so weit, dass unsere Art, uns zu kleiden, beim Hören mehr auffällt als beim Anschauen: Ich bin sicher, dass meinen blinden Kolleginnen und Kolleginnen meine vorrübergehende Vorliebe für das Tragen von Stöckelschuhen deutlich stärker in Erinnerung ist als den sehenden. Ob das dafür, welchen Eindruck sie von mir haben, eine Rolle spielt? Na, ich würde auf jeden Fall sagen, nicht mehr oder weniger als das Wissen darüber, worin ich meinen Körper sonst so hülle oder welche Frisur man an mir bewundern kann.

Beste Inklusionsabsichten

In einem Plädoyer für die Selbstbeschreibung im Sinne der Inklusion, das auf einer breit angelegten Studie basieren dürfte, lese ich neben einer genauen Anleitung dafür, wie man eine solche gestalten sollte, auch, dass man damit niemanden zwangsbeglücken soll. Um das zu gewährleisten, empfehlen die Autor:innen, im Vorfeld einer Veranstaltung von den Teilnehmer:innen zu erfragen, ob sie Selbstbeschreibungen der Referent:innen wünschen, und sie nur dann zur Verfügung zu stellen. So ähnlich, wie oft erhoben wird, ob Übersetzung in Gebärdensprache, Live-Untertitelung oder andere Assistenz benötigt wird.

Das ist ein interessanter Lösungsansatz. Dennoch: Meiner persönlichen Auffassung von Inklusion entspricht das nicht. Die würde nämlich voraussetzen, dass bestimmte Gegebenheiten, die eine Teilhabe in vollem Umfang ermöglichen, bei jeder Veranstaltung vorhanden sind und nicht erst bei explizit angemeldetem Bedarf zur Verfügung gestellt werden.

Kritik am gut Gemeinten

Das zerstört natürlich den schönen Lösungsansatz sofort, denn im Gegensatz zu Gebärdensprachdolmetsch und Live-Transkription kann das Publikum bei Selbstbeschreibungen, wenn sie einmal standardmäßig „für alle Fälle“ geboten werden, nicht entscheiden, ob es sie in Anspruch nehmen möchte oder nicht.

Jetzt sagen Sie vielleicht, das wird man wohl überleben – selbst, wenn man darauf persönlich verzichten könnte. Damit haben Sie sicherlich recht. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass die Selbstbeschreibung auch für jene, die sie ganz interessant finden, nicht essenziell ist – weder, um sich einen authentischen Eindruck von der Person zu machen, noch um dem Vortrag folgen zu können, und schon gar nicht, um die Person wiederzuerkennen, denn sie läuft ja nicht permanent mit einer Audiodeskription des eigenen Aussehens herum.

Umgekehrt schwingt für mich persönlich bei der Forderung solcher Selbstbeschreibungen insbesondere durch sehende Personen die Botschaft mit, man würde Menschen, die nicht oder nicht gut sehen, nicht zutrauen, ihr Gegenüber richtig einzuschätzen. Und das ist etwas, das ich weder glaube, noch vermitteln möchte.

 

Was denken Sie?

Können Sie mit meinen Gedankengängen etwas anfangen? Halten Sie sie für überzogen? Oder fühlen Sie sich ohne Selbstbeschreibungen benachteiligt und möchten gerne erklären, warum? Ich bin gespannt auf Ihre Perspektive in einer E-Mail an Doris Ossberger unter do@wortklaviatur.at!

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