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EU Disability Card – ein europaweiter Schlüssel zum Erfolg?

  • EU Disbility Card © BSVÖ

Ein gemeinsamer Behindertenausweis, der über Ländergrenzen hinweg anerkannt wird und seinen Besitzer:innen die gleichen Leistungen zugesteht? Klingt sinnvoll. Ist er auch. Warum der EU-Behindertenausweis das Reisen zukünftig erleichtern könnte, welchen Nutzen ein gemeinsames System hat und weshalb 8 aus 27 zu wenig ist, lesen Sie hier!

Auf, auf und davon!

Cristina T. freut sich. Der Sommer steht an und somit auch der Besuch bei ihrer Schwester in Wien. Sie selbst lebt seit Jahren in Bukarest und hat dort schon vor einigen Jahren die EU-Disability Card bekommen. Das war möglich, weil Rumänien einer der acht EU-Mitgliedsstaaten ist, die sich an dem Pilotprojekt EU-Behindertenausweis beteiligten. Mit dem Ausweis konnte sie darauf zählen, auch in den anderen teilnehmenden Staaten die gleichen Leistungen zu erhalten und ohne großen zusätzlichen Aufwand gleichberechtigen Zugang zu Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu können.

Bei einer Reise 2019 nach Belgien klappte das wunderbar und auch der Besuch bei Freunden in Slowenien verlief reibungslos. Cristina T., die stark sehbehindert ist und dennoch einige Reisen alleine unternimmt, lobt die Vorteile des EU-Behindertenpasses. „Er hat das Reisen leichter gemacht“, sagt sie und zieht den Ausweis aus ihrem Portemonnaie. Er ist immer dabei. „Wenn ich in eines der anderen Länder reise, die den EU-Behindertenausweis anerkennen, brauche ich mich praktisch um nichts mehr kümmern. Dann ist klar: das ist mein Status. Ich muss nicht darum diskutieren, weshalb ich gewisse Leistungen, die mir eigentlich zustehen, in Anspruch nehmen möchte. Und ich muss nicht immer auf’s Neue beweisen, dass ich sehbehindert bin.“

Cristina T., die vor der Corona-Pandemie auch beruflich viel unterwegs war, hatte beim Reisen in andere EU-Länder schon viel erlebt. Von ermüdender Recherche, zu welchen Vorteilen sie durch ihre Behinderung Zugang hat bis hin zu nervenaufreibenden Beweisführungen, weshalb sie auch tatsächlich Anspruch auf jene Leistungen habe, sei einiges dabei gewesen. „In manchen Städten habe ich so negative Erfahrungen sammeln müssen, dass ich dort wirklich nicht mehr hinreisen wollte. Das liegt manchmal an den Personal, das sich nicht auskennt, aber oft auch an den dortigen Gesetzen und Richtlinien. Aber so oder so: es macht etwas mit dir, wenn du dich rechtfertigen musst, weshalb du diese oder jene Leistung in Anspruch nehmen musst.“

Acht Länder haben sich mit Star des Pilotprojekts im Februar 2016 freiwillig dazu entschlossen, den Behindertenstatus und einiger damit verbundener Leistungen gegenseitig anzuerkennen.
„Als blinder oder sehbehinderter Mensch zu reisen, ist oft mit Barrieren verbunden und kann ganz schon fordernd sein. Da ist die Anerkennung meines Status als Frau mit Behinderung eine große Erleichterung“, hält Cristina T. fest.
Jetzt, wo ihre Reise nach Wien ansteht, kann sie zwar auf die Unterstützung ihrer Schwester rechnen, sie macht sich aber darauf gefasst, dass sie sich schon im Vorhinein gut darüber informieren muss, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen kann und worauf sie besser nicht vertrauen sollte.

Alle für einen, einer für alle?

Das Pilotprojekt zum EU-Behindertenausweis ist 2019 beendet worden – die meisten Länder aber haben den Ausweis weiterhin beibehalten. Ein verbindliches Zaubermittel ist er aber nicht: die teilnehmenden Länder erkannten spezielle Leistungen freiwillig an. Davon blieben aber nationale Anspruchsvoraussetzungen und Bestimmungen unberührt. Wer also unter welchen Voraussetzungen den Status, der zum Tragen des Ausweises berechtigt, erhält, wurde weiterhin auf Grundlage der jeweiligen nationalen Bestimmungen festgelegt. Dennoch zeigte sich, dass der EU-Ausweis das Reisen und die selbstbestimmte Mobilität von Menschen mit Behinderungen in den Teilnehmerländern günstig beeinflusste.

Apropos: Österreich und Deutschland waren nicht Teil des Projekts. Mitgemacht hatten aber: 

Belgien

Zypern
Estland
Finnland
Italien
Malta
Rumänien
Slowenien

 

Sehr gut, setzen

Zu diesem Ergebnis kam nicht zuletzt eine Bewertung durch die Europäische Kommission, die 2019-2020 durchgeführt wurde. Nicht nur ginge der Ausweis auf die Bedürfnisse und Forderungen von Menschen mit Behinderungen in den erfassten Wirtschaftszeigen ein, die Nachfrage nach dem Ausweis sei hoch gewesen, die Umsetzungskosten gering.

Die Kommission kündigte daraufhin an, eine europaweite Einführung des Passes vorzuschlagen – einen Umstand, den auch der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich begrüßt.

„Blinde und sehbehinderte Menschen sind heute mobiler als früher, müssen es auch in manchen Fällen sein, aber auch Europa ist offener geworden und daher wird mehr gereist. Ein nationaler Ausweis bringt oft Vorteile wie gewisse Ermäßigungen mit sich“, bestätigt auch der Präsident des BSVÖ, Dr. Markus Wolf. „Es ist wichtig und richtungsweisend, dass es auch einen Ausweis gibt mit dem auch die Vorteile europaweit anerkannt werden.“

Die Folgemaßnahmen wurden in der EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021-2030 angekündigt, Grundlage sollen die Erfahrungen der Teilnehmerstaaten mit dem EU-Behindertenausweis sowie mit dem europäischen Parkausweis für Menschen mit Behinderungen sein.

Also, wie geht’s weiter?

Jetzt ist erst einmal Warten angesagt. Wie und wann das Projekt tatsächlich umgesetzt werden kann, ist trotz aller positiven Bewertungen noch unsicher. Was aber festgelegt wurde, ist, dass die Europäische Kommission im September 2023 eine Empfehlung abgeben wird. Wie diese Empfehlung tatsächlich aussieht, ob es sich um eine Regulation oder eine Direktive oder ein anderes Rechtsformat handeln werde, ist jetzt noch nicht bekannt. Die Empfehlung soll aber die Verhandlungen zwischen den EU Institutionen, also dem EU Parlament und dem Europäischen Rat darüber, wie der finale Text aussehen solle, anstoßen. Und das kann einige Jahre dauern.

Cristina T. muss also, so wie tausende andere blinde und sehbehinderte EU-Bürger:innen noch Geduld mitbringen, was die Umsetzung eines gemeinsamen, EU-weit anerkannten Behindertenausweises angeht. „Ob ich das noch erleben werde?“, fragt sie sich und steckt ihren Ausweis wieder zurück in die Geldtasche.

Wichtig wäre es. Denn ein gemeinsamer Ausweis, der die bestmöglichen Leistungen zusichert und das Reisen innerhalb aller Mitgliedsstaaten für Menschen mit Behinderungen vereinfacht, ist nicht nur ein gefälliges Goodie. Er würde nicht nur den Gedanken eines geeinten Europas vorbildlich in sich tragen, sondern eine notwendige Maßnahme für Inklusion und sichere, selbstbestimmte Mobilität darstellen.

 

Weiterführende Links

„The Disability Card“ Fokus-Newsletter der Europäischen Blindenunion (Englisch): https://www.euroblind.org/newsletter/ebu-focus-english/2021/june/en

„Disability Card” Zusammenfassung auf der Webseite des European Disability Forum (Englisch): https://www.edf-feph.org/eu-disability-card/

„EU-Behindertenausweis“ Übersicht auf der Websetie der Europäischen Kommission (Deutsch): https://ec.europa.eu/social/main.jsp?langId=de&catId=1139

 

 

 

 

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