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BSVÖ Mehrsinne Mittwoch - Barrierefreies Bauen: Muss das sein?

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„Na nona,“ werden Sie jetzt hoffentlich innerlich aufschreien (und sich vielleicht gleichzeitig angesichts der blöden Frage fragen, ob wir uns eigentlich in den letzten hundert Jahren selbst zugehört haben). Keine Sorge, Sie haben vollkommen Recht! Aber haben Sie das auch im juristischen Sinn?

Alle Gebäude müssen barrierefrei sein. Dass wir das so sehen, ist vollkommen klar. Es gibt allerdings auch genügend Leute, die da ihre Zweifel haben. Ein sinnvoller Weg, solche Zweifel nachhaltig zu beseitigen, ist, ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, warum Barrierefreiheit so wichtig ist. Wenn man damit aber an seine Grenzen stößt und es womöglich auch noch mit Entscheidungsträger:innen zu tun hat, kann es manchmal ganz gut sein zu wissen, was denn jenseits des alleinigen guten Willens gesetzlich schlicht und einfach vorgegeben ist.

Schlicht und einfach ist hier nichts

Schön wär’s, wenn man die Frage, ob barrierefreies Bauen verpflichtend ist, kurz und bündig mit „ja“ beantworten könnte. Wenn man davon ausgehen könnte, dass ein Gebäude, um genutzt werden zu dürfen, gewisse Barrierefreiheitsanforderungen genauso erfüllen muss wie bestimmte Sicherheitsanforderungen. Aber so klar ist das leider nicht geregelt. Es wäre zum Beispiel undenkbar, dass eine offene Galerie ohne Brüstung zur Absturzsicherung gebaut würde, weil sie ohne die halt cooler aussieht. Dass der Aufzug, der zu derselben Galerie führt, mit Bedienelementen ausgestattet wird, die nicht zuletzt diejenigen, die ihn vielleicht am nötigsten brauchen, ratlos und unbefördert zurück lässt, hat noch niemanden daran gehindert, ein Gebäude zu eröffnen und fröhlich weiter zu betreiben. Wenn man sich das so durch den Kopf gehen lässt und womöglich noch einen griesgrämigen Tag hat, könnte man sogar zu dem Schluss kommen, dass man die Frage, ob barrierefreies Bauen verpflichtend ist, zähneknirschend mit „nein“ beantworten müsste. Aber ganz so schlimm ist es auch wieder nicht.

Die Behindertenrechtskonvention ist auf unserer Seite

Klar, dazu ist sie ja da! Die UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, wie sie vollständig heißt, verpflichtet alle Länder, die sie unterschrieben haben, dazu, unter anderem durch entsprechende Gesetzgebung für Inklusion zu sorgen. Und damit Inklusion stattfinden kann, braucht es was? Genau, Barrierefreiheit! Das ist nicht nur eine Interpretation unsererseits, sondern steht auch ganz deutlich drin. Die Behindertenrechtskonvention gibt also vor, dass Barrierefreiheit systematisch umgesetzt wird. Und sie ist auch nicht nur irgendein „Papierl“, sondern ein Gesetz. Es kommt noch besser: Österreich ist sogar in zweifacher Hinsicht daran gebunden, denn es hat einerseits selbst unterschrieben und ist andererseits Mitglied der EU, die das ebenfalls gemacht hat.

Kein Grund für Euphorie

So erfreulich es ist, dass die Behindertenrechtskonvention eine so klare Richtung vorgibt, gemäht ist die Barrierefreiheitswiese dadurch leider nicht im geringsten. Der Weg von der Vorgabe, dass Maßnahmen getroffen werden müssen, führt zunächst einmal zur Planung dieser Maßnahmen. Man nimmt sich also vor, was man zu tun gedenkt, und schreibt das nieder. Das Papier, das dabei herauskommt, heißt auf EU Ebene „EU Strategy for the Rights of Persons with Disabilities“. Österreich hat sein entsprechendes Dokument „Nationaler Aktionsplan Behinderung“ – kurz „NAP“ – genannt. Dort könnte man dann als eine Maßnahme zum Beispiel etwas hinein schreiben wie „Wir wollen ein Gesetz machen, nach dem alle öffentlich zugänglichen Gebäude von A bis Z barrierefrei gestaltet werden müssen.“ Selbst, wenn man das täte, müsste dieses Gesetz dann auch erst entwickelt werden, unterwegs der Prüfung zahlreicher skeptischer Entscheidungsträger:innen standhalten, und letzten Endes natürlich auch in der Praxis konsequent befolgt werden.

Mühsam nährt sich das Eichhörnchen

Auch, wenn dieser Weg bisher bei weitem nicht so eben und hindernisfrei war, wie wir es uns wünschen würden: ein paar Ergebnisse, die uns heute zumindest ein bisschen mehr Argumente in die Hand legen als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren, gibt es schon. Von europäischer Ebene kommt als jüngste Entwicklung der European Accessibility Act – zu Deutsch das Barrierefreiheitsgesetz. Darüber könnte man vieles sagen, durchaus auch Gutes. Was die bauliche Barrierefreiheit betrifft, hat dieses Gesetz leider ein großes Minus: es verpflichtet nicht dazu. Und zwar nicht einmal im Zusammenhang mit jenen Produkten und Dienstleistungen, für die es Barrierefreiheit vorgibt. Tja, lassen wir das fürs Erste einmal so stehen.

Baurecht als Hebel der Wahl

Ein sehr direkter Weg darauf Einfluss zu nehmen, wie gebaut wird, führt – wie schon der Name sagt – über das Baurecht. Um der Barrierefreiheit möglichst flächendeckend die Ehre zu geben, wäre es also am besten, in Bauvorschriften, durch die man im Zuge eines Bauprozesses nun einmal durch muss, entsprechende Vorgaben zu verankern. „Flächendeckend“ ist hier aber nicht so einfach umgesetzt, wie man vielleicht denken mag, denn in Österreich hat jedes Bundesland seine eigenen Bauvorschriften. Genauer gesagt, gibt es immer einerseits das Baugesetz bzw. die Bauordnung und andererseits die Bautechnikverordung bzw. Bautechnikrichtlinien. Was die Barrierefreiheit betrifft, so steht im Baugesetz bzw. in der Bauordnung, was im jeweiligen Bundesland barrierefrei zu bauen ist. Das können zum Beispiel bestimmte Gebäudearten oder Gebäudeteile sein. Will man dann wissen, wie man diese Barrierefreiheit herstellt, muss man in der Bautechnikverordnung bzw. den Bautechnikrichtlinien nachlesen. Hier setzt ein Versuch an, zumindest für bestimmte Bereiche die Vorgaben für die Umsetzung österreichweit zu vereinheitlichen: die harmonisierten Bauvorschriften, herausgegeben vom Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB) – kurz „OIB Richtlinien“. Wenn ein Bundesland nämlich beschließt, die OIB Richtlinien in sein Baurecht aufzunehmen, dann wird sich in der Bautechnikverordnung bzw. in den Bautechnikrichtlinien zur Frage der Umsetzung der Hinweis finden, dass die OIB Richtlinie anzuwenden ist. Im Fall der Barrierefreiheit ist das die OIB Richtlinie 4 „Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit“.

Kein Garant für Barrierefreiheit

Die Entwicklung der harmonisierten Bauvorschriften war sicherlich ein wesentlicher Schritt. Doch auch, wenn sie bis zu einem gewissen Grad für eine österreichweite Einheitlichkeit der Vorgaben hinsichtlich baulicher Barrierefreiheit sorgen, erlauben sie bei weitem nicht, die Frage nach der Verpflichtung zu barrierefreiem Bauen mit einem eindeutigen „Ja“ zu beantworten. Alleine dass in Baugesetz bzw. Bauordnung definiert wird, unter welchen Bedingungen ein Gebäude oder Gebäudeteil barrierefrei gestaltet werden muss, zeigt ja schon, dass es nicht z.B. „alle öffentlich zugänglichen Gebäude im Neubau“ betrifft. Und selbst bei jenen Gebäuden und Gebäudeteilen, die barrierefrei sein müssen, lässt die OIB Richtlinie 4 viel zu viel Interpretationsspielraum offen, um einen soliden zufriedenstellenden Mindeststandard bei der Umsetzung zu gewährleisten.

Antidiskriminierungsrecht als Trostpflaster

Wie gesagt, Barrierefreiheit ist eine wesentliche Voraussetzung für Inklusion. Dafür muss sie aber von vornherein gewährleistet sein. Denn ab dem Moment, wo man auf eine Barriere stößt und dadurch behindert wird, ist die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ja schon nicht mehr gegeben. Wie gesagt, so richtig funktionieren kann das wahrscheinlich im gesetzlichen Bereich nur durch ausreichende Vorgaben im Baurecht, die das Errichten von Barrieren klipp und klar verbieten. Da es die aber nun mal in dieser Form nicht gibt, ist es gut zu wissen, dass der zivilrechtliche Bereich gewisse Möglichkeiten bietet, gegen Barrieren vorzugehen. Laut Behindertengleichstellungsgesetz dürfen Menschen mit Behinderungen nicht diskriminiert werden. Was das mit Barrierefreiheit zu tun hat? Durch Barrieren werden Menschen mit Behinderungen diskriminiert. Daher können sie auf Basis des Behindertengleichstellungsgesetzes mit einer Schlichtung beim Sozialministeriumsservice bzw. einer Klage dagegen vorgehen.

Fehlender Biss

Ganz zahnlos ist das Behindertengleichstellungsgesetz natürlich nicht und es ist gut und wichtig, dass es die Möglichkeit bietet, sich gegen verschiedenste Arten der Diskriminierung zu wehren. Wenn es darum geht, flächendeckend barrierefreien Lebensraum zu schaffen, ist es nicht so ganz der Stein der Weisen. Erstens kommt es nur zum Tragen, wenn jemand schlichtet bzw. klagt. Damit herrscht das Prinzip „wo kein Kläger da kein Richter“ vor und es verhindert nicht von vornherein, dass Barrieren geschaffen bzw. gebaut werden. Zweitens gibt es keinen Beseitigungsanspruch. Natürlich ist die Wirkung des Aufzeigens einer Barriere nicht zu unterschätzen und in vielen Fällen stehen die Chancen gut, dass im Rahmen einer Schlichtung so gut vermittelt wird, dass man sich auf eine Beseitigung der Barriere einigt. Wenn es hart auf hart kommt, kann aber auf Basis des Behindertengleichstellungsgesetz niemand darauf festgenagelt werden, eine Barriere zu beseitigen – selbst, wenn im Gerichtsverfahren bestätigt wird, dass sie Menschen diskriminiert.

Ausblick auf mehr

Wenn einmal der Überblick darüber, ob barrierefreies Bauen verpflichtend ist, da ist, fragen sich viele als nächstes, wer oder was denn eigentlich bestimmt, was „barrierefrei“ heißt. Geht es Ihnen auch so? Dann legen wir Ihnen die nächste Ausgabe des „Mehrsinne Mittwoch“ ans Herz – dort wird es darüber mehr zu lesen geben.

Kontakt

Bei Rückfragen schreiben Sie wie immer gerne an Doris Ossberger unter do@wortklaviatur.at.

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