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BSVÖ Digitaler Dienstag - Webshops und der EAA

  • Digitaler Dienstag © BSVÖ

Nach zwei Jahren Pandemie und gefühlt unzähligen Lockdowns, Absonderungen und sonstigen Kontaktlosigkeiten dürfte alleine die grenzenlose Verfügbarkeit von Klopapier so manche von den Vorteilen des online Einkaufs im Supermarkt oder Drogeriemarkt überzeugt haben. Doch können blinde Menschen und Menschen mit Sehbehinderungen diese Vorteile auch nutzen? Und wenn nicht, kann das den Betreiber:innen egal sein oder gibt es Verpflichtungen, Webshops zugänglich zu machen?

Der Lavendelduft in meiner Küche lässt mich in Kombination mit dem März-Klima ganz besonders in Erinnerungen an die zunächst einmal entschleunigte Zeit des ersten Lockdowns schwelgen. Ich habe ihn dem Umstand zu verdanken, dass ich in dieser Zeit notgedrungen die Möglichkeit des online Einkaufs im Supermarkt für mich entdeckt habe – und dort wiederum den Küchenreiniger, der sich bis dahin meiner Aufmerksamkeit entzogen hatte.

Als berufstätige Mutter mit zwei Kindergartenkindern und einem Haushalt, der sich erfahrungsgemäß nicht von selbst macht, verschafft mir dieses online Einkaufen einiges an Erleichterungen im Alltag – auch in Phasen, in denen es pandemietechnisch nicht mehr unbedingt nötig wäre. Die ersten, die mir aber davon erzählt haben, dass es so etwas gibt und dass sie es regelmäßig nutzen, waren blinde Menschen – und zwar lange vor Corona, einfach, weil sie es als die selbstbestimmteste Art des Einkaufens wahrgenommen haben.

Ups, das ist ja universelles Design!

Das bedeutet jetzt natürlich noch lange nicht, dass das für alle und immer so ist, geschweige denn so sein muss. Es hat schon etwas für sich, im Geschäft durch die Obst- und Gemüseabteilung zu schlendern und genau den Apfel auszuwählen, der einem das Wasser am meisten im Mund zusammenlaufen lässt, oder im Kühlregal gezielt nach einem Stück Hendlfilet zu greifen, das nicht am Tag nach dem Kauf bereits abgelaufen ist. Auch für den schnellen Impulskauf zwischendurch ist das online Einkaufen nur begrenzt geeignet. Es kam wohl auch bei mir nicht von ungefähr, dass ich ausgerechnet in einer Situation, wo es darum ging, einen Vorrat anzulegen, auf den Geschmack gekommen bin.

Ob man mit dem online Einkauf etwas anfangen kann oder nicht, kommt letztlich sicherlich viel mehr auf individuelle Vorlieben und Gewohnheiten an als auf Familienverhältnisse, Sehvermögen oder sonstige Gegebenheiten. Aber eines muss man den Webshops lassen: Unterstützung beim Einkauf in Anspruch zu nehmen ist Teil ihres Konzepts. Einmal in aller Ruhe ausgewählt wird die Ware zusammengesucht, verpackt, transportiert und direkt vor der Wohnungstür abgeliefert. Im Geschäft vor Ort gäbe es ein solches Service wohl bestenfalls als etwas, das es extra anzufordern gilt und wofür man auch irgendeine Berechtigung wie zum Beispiel eine Behinderung vorweisen müsste, um davon Gebrauch machen zu können. So gesehen ist der online Einkauf doch von seinem Grundcharakter her ziemlich inklusiv unterwegs – wenn auch vielleicht nicht ganz bewusst!

Umsonst gibt’s nix

Das Lieferservice, das mit dem online Bestellen einher geht, ist für Kund:innen mit gewissen zusätzlichen Kosten verbunden. Man kann sie aber gering halten oder sich sogar ersparen:

Bei den Drogeriemarkt-Ketten DM und BIPA fallen für Bestellungen unter einem gewissen Gesamtwert Versandkosten an. Gegen Vorlage eines Behindertenausweises ist die Lieferung unabhängig vom Bestellwert kostenlos.

Bei den Supermarktketten BILLA und Interspar gibt es einen Mindestbestellwert, unter dem eine Lieferung gar nicht möglich ist. Der ist aber in einem Bereich angesetzt, der z.B. mit einem Wocheneinkauf an Lebensmitteln durchaus zu erreichen ist – auch, wenn man sich ausschließlich im Eigenmarken- und Sonderangebotseck bedient. Bei Interspar kostet die Lieferung € 4,99, ist aber ab einem Einkaufswert von € 100,- kostenlos. Bei Billa variieren die Lieferkosten je nach gewünschtem Zeitfenster zwischen € 1,99 und € 4,99. Hier lohnt es sich, die Aktionen aufmerksam zu beobachten, bei denen man sich z.B. durch gratis Lieferung oder auch einen Rabatt auf den gesamten Einkauf letztendlich auch oft die Liefergebühr ersparen kann.

Wenn die Barrieren nicht wären

Die Kosten für das online Einkaufen im Drogerie- oder Supermarkt dürften also durchaus in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen, den man davon hat, stehen. Fest steht auch, dass solche online Shops gerade für blinde und sehbehinderte Menschen die Möglichkeit bieten, ohne fremde Hilfe wichtige Informationen zu erhalten, an die sie direkt im Geschäft selbst nur sehr schwer kommen würden: Welche Produkte gibt es? Was ist neu im Angebot? Welche Zutaten sind in einem Produkt enthalten? Was kostet ein Produkt?

Dadurch würden sie für all jene, die mit der Nutzung eines Computers oder Smartphones vertraut sind, die meisten Barrieren, auf die blinde und sehbehinderte Menschen beim Einkaufen typischerweise stoßen, mit einem Schlag beseitigen. Stellt sich nur wieder einmal die Frage: Wie sieht es mit der Zugänglichkeit aus?

Top im Web, Flop in der App

Bei unserem Streifzug durch die virtuellen Geschäfte von DM, BIPA, BILLA und Interspar ist uns eines sehr deutlich aufgefallen: während wir von den Webversionen ziemlich positiv überrascht wurden, haben uns die Apps größtenteils bitter enttäuscht. Doch zuerst zum Positiven:

In den Webversionen war es durchwegs gut möglich, ein gewünschtes Produkt zu finden, die Informationen (Preis usw.) dazu abzufragen und es in den Warenkorb zu legen. Erinnern Sie sich an die häufigen Fehler hinsichtlich digitaler Barrierefreiheit, über die wir in der Februar-Ausgabe des „Digitalen Dienstag“ berichtet haben? Hier haben wir bei den Webshops ein paar wirklich gute Beispiele gefunden, wie man es richtig machen kann. Beispielsweise ist ein grafischer Warenkorb-Schalter hervorragend ausgeführt, wenn seine Funktion durch die Beschriftung „in den Warenkorb legen“ auch für Screenreader-Nutzer:innen erkennbar ist. Die Navigation durch das Sortiment funktioniert hervorragend, wenn daran gedacht wurde, dass nach dem Aktivieren der Schaltfläche „Grundnahrungsmittel“ der Fokus am Beginn der folgenden Unterkategorien steht, sodass einem keine entgeht.

All diese Dinge sind bei den Webversionen aller online Shops, die wir uns angeschaut haben, zumindest soweit erfüllt, dass ein Einkauf möglich ist – wenn auch mit unterschiedlicher Qualität, denn beispielsweise bei Interspar, dessen Webseite laut eigener Angabe seit 2018 die WCAG Level AA erfüllen sollte, sind die Filteroptionen, mit denen die Produktauswahl eingegrenzt werden kann, nur mit der Computer-Maus bedienbar und dadurch für Screenreader- und Tastatur-Nutzer:innen nicht zugänglich.

Für sehende Tastaturnutzer:innen ist essentiell erkennen zu können, wo sich der Tastaturfokus gerade befindet und ob ein Element durch Betätigen der ENTER Taste aktiviert werden kann. Dem dürfte generell weniger Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn so richtig durchgehend erfüllt wird es nur im online Shop von BILLA. Gerade bei so reichhaltigen Seiten wie denen von Webshops wäre es aber besonders wichtig, um ausreichend Übersichtlichkeit für ein entspanntes Einkaufserlebnis zu ermöglichen.

Bei den Smartphone Apps sieht es außer bei DM, dessen App gut bedienbar ist, deutlich schlechter aus als bei den Webversionen. Zahlreiche unbeschriftete oder unklar beschriftete Schaltflächen oder Elemente, die für Screenreader-Nutzer:innen nicht als Schaltflächen erkennbar sind, machen das Einkaufen hier leider kaum bis gar nicht möglich. Beispielsweise lässt die Beschriftung „Taste: Illustrationen“ wohl die wenigsten darauf schließen, dass es sich hier um die Taste handelt, mit der man ein Produkt in den Warenkorb legen kann. Wählt man als Screenreader-Nutzer:in einen Sortimentsbereich, wie z.B. „Obst und Gemüse“ aus, so werden die Unterkategorien vom Screenreader nur als normaler Text anstatt als weitere Schalter identifiziert. Dadurch gelangt man nicht zu den Produkten, die dort zu finden sind.

Darfs ein bisserl mehr sein?

Wie Sie diese Frage in Bezug auf Ihre Extrawurst-Bestellung beantworten, sei Ihnen natürlich ganz selbst überlassen. Hinsichtlich der Barrierefreiheit ist sie ganz eindeutig mit „Ja“ zu beantworten – und das nicht nur, weil Barrierefreiheit eben keine Extrawurst ist. Und wir können sogar etwas weiter gehen, denn bald darf es nicht nur ein bisserl mehr sein, sondern es muss.

Die Basis dafür bietet uns das europäische Gesetz mit der kryptischen Abkürzung „EAA“ die Sie bereits im Titel dieses Artikels gelesen haben. „EAA“ steht für European Accessibility Act; – zu Deutsch „Europäisches Barrierefreiheitsgesetz“. Dieses Gesetz gilt in ganz Europa seit 2019 und muss auch in Österreich noch dieses Jahr in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden. Wenn es um bauliche Barrierefreiheit geht, haben wir im Zusammenhang mit dem Barrierefreiheitsgesetz noch einiges zu Raunzen, denn es bezieht sich auf Produkte und Dienstleistungen – und nicht einmal da auf alle. Online-Shops werden aber explizit genannt und sind somit ab 2025 barrierefrei zu gestalten. Dasselbe gilt übrigens auch für Bankdienstleistungen.

Wenn Sie sich durch die mangelnde Zugänglichkeit eines Webshops aufgrund Ihrer Behinderung diskriminiert fühlen, können Sie natürlich auch jetzt schon nach Behindertengleichstellungsgesetz Ansprüche geltend machen – genauso, wie das z.B. eine Person, die einen Rollstuhl nutzt, bei einem Geschäft mit einer Stufe zum Eingang machen kann. Durch die klare Vorgabe der Zugänglichkeit von Online Shops wird das Barrierefreiheitsgesetz unter anderem für diesen Bereich in einigen Jahren aber hoffentlich dafür sorgen, dass dieses Einfordern im Nachhinein seltener notwendig ist und Barrieren auch beseitigt werden müssen, wenn sie doch auftreten.

Kontakt

Bei Rückfragen oder Anregungen melden Sie sich wie immer gerne bei Doris Ossberger unter barrierefrei@blindenverband.at

 

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