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Interview mit Dr. Hansjörg Hofer – Zurecht auf Inklusion bauen.

"Der Durchblick"-Auskoppelung im Fokus

Vier Jahre ist es her, dass Dr. Hansjörg Hofer das Amt des Behindertenanwalts von Dr. Erwin Buchinger übernahm. Damals sprach Der Durchblick mit ihm über Chancen, Verantwortung und den persönlichen Weg aus dem Sozialministerium in den Sessel des Behindertenanwaltes. Dass sich am Ende der ersten Amtsperiode eine Pandemie ausbreiten würde, deren Folgen für die Situation von Menschen mit Behinderungen unabsehbar sind, stand aber nicht in der Jobbeschreibung.

Die Behindertenanwaltschaft hat viel zu tun. Sie ist die Anlaufstelle für Menschen, die aufgrund ihrer Behinderungen Diskriminierungen erfahren und dagegen angehen wollen – und das österreichweit. Die Behindertenanwaltschaft hat aber auch deswegen viel zu tun, weil Diskriminierungen in den letzten Jahren nicht weniger geworden sind und sich Menschen mit Behinderungen nach wie vor in einem Umfeld behaupten müssen, das reich an Vorurteilen ist und das qualitative Barrierefreiheit nicht immer mitdenkt.

Zumindest beim Abtragen baulicher Barrieren gäbe es tatsächlich Fortschritte, so Dr. Hofer auf die Frage, ob er in der letzten Amtsperiode in puncto diskriminierender Faktoren eine Veränderung beobachtet hätte. Aber die täglichen Diskriminierungen wären nicht weniger geworden - auch nicht in einem Land, in dem die Diskussion um Diversität und Inklusion zumindest theoretisch einen hohen Stellenwert hat. Als dann auch noch die Pandemie ausbrach, stieg das Level an Diskriminierungen auf ein neues Hoch.

Dr. Hansjörg Hofer im Portrait. Er trägt ein blaues Sakko und eine hellblaue Krawatte ©Behindertenanwaltschaft

Corona als großes Übel

Zurückblickend meint Dr. Hofer, dass vor allem in den Anfangsmonaten, als COVID-19 auch Österreich erreicht hatte, enorm viele zusätzliche Barrieren geschaffen wurden. Bei vielen Maßnahmen, die dazu dienen sollten, die Ausbreitung zu verhindern, wurden Menschen mit Behinderungen übergangen, wurden neue bauliche und soziale Hürden errichtet. Auch der Blinden- und Sehbehindertenverband appellierte mehrfach auf unbedingte Barrierefreiheit im Krisenmanagement. Nachjustierungen bei Corona-Apps und bei der Zugänglichkeit rund um Testungen und Impfungen etwa waren dennoch notwendig.

Jetzt, da die Impfdebatte die Gemüter aufheizt, bleiben auch hier ungeklärte Fragen. Was ist mit jenen Menschen mit Behinderungen, bei denen eine Impfung aus medizinischen Gründen höchst bedenklich wäre? Im Verschärfen der Zugangsbeschränkungen von 3G auf 2G etwa ergibt sich hieraus für jene eine neue Art der gesellschaftlichen Isolation. Dr. Hansjörg Hofer, der die Impfung nicht zuletzt als Schutz der vulnerablen Gruppen als Notwendigkeit betrachtet, gibt zu bedenken, dass für diese Fälle keine Lösungsvorschläge geboten werden.

Eine der größten Wunden hat die Pandemie in den Arbeitsmarkt geschlagen. War schon vorab die Situation von Menschen mit Behinderungen am Jobsektor eine schlechte, so verschärfte sich mit Ausbruch von COVID-19 der Stand der Dinge erneut. Menschen mit Behinderungen wurden in besonders hohem Maße in ihren Anstellungen reduziert oder arbeitslos, womit sie zusätzlich zur Pandemie einer großen Belastung ausgesetzt wurden. 

Rosige Aussichten? Leider nein.

Auch jetzt, da COVID-19 Schritt für Schritt zurückgedrängt wird, bleibt der Arbeitsmarkt als Scherbenhaufen zurück. Vor allem im Sektor der Langzeitarbeitslosigkeit sind Menschen mit Behinderungen massiv überrepräsentiert. Und je länger eine Person arbeitslos ist, desto schwieriger sei es, wieder Fuß zu fassen, gibt Dr. Hofer zu bedenken. Auch in der Vermittlung seien Menschen mit Behinderungen nicht das Kernklientel. Denn zuerst kämen jene Personen an Jobs, die in der Wahrnehmung von Unternehmen leicht zu vermitteln sind.

„Das Nichtwissen ist das größte Problem“, ärgert sich Dr. Hofer. „Arbeitgeber beschäftigen sich nicht mit den Möglichkeiten.“ Nach wie vor bestünden Vorurteile und Berührungsängste, die es abzubauen gilt, um mehr Chancengleichheit am Arbeitsmarkt zu erreichen.

Ein Hochschrauben der Ausgleichstaxe erachtet der Behindertenanwalt aber nicht als zielführend. „Es benötigt ein anderes System, das nicht als Strafe empfunden wird“, so Dr. Hofer. Durch eine allgemein gehaltene Zahlungspflicht müsse mehr Geld in das System fließen um daraus wieder Förderungen speisen zu können. Entsprechende Änderungen im Behindertenanstellungsgesetz wären die Voraussetzung, den Fokus weg von Strafen hin zu Unterstützung und Förderungen zu lenken. Gespräche mit dem Arbeits- und Sozialministerium hat es schon gegeben, die Mühlen aber mahlen langsam.

Aufholen, Ausbauen, Aufarbeiten

Ein anderes Problemfeld, das schon lange vor Corona die Arbeitsplatzthematik und somit die Behindertenanwaltschaft beschäftigt hat, ist jenes fehlender Gehälter und Sozialversicherung für Menschen mit Behinderungen, die in Beschäftigungstherapie und speziellen Werkstätten arbeiten. Lohn statt Taschengeld lautet hier die Forderung für jene Menschen ohne Gehaltsanspruch. „Es handelt sich um eine menschenrechtliche Frage“, so Dr. Hofer. „Eine Frage, die gelöst werden muss. Eine Umstellung würde kurzfristig Mehrkosten verursachen, aber auf lange Sicht dem Staat günstiger kommen.“ Abgesehen davon können arbeitende Menschen, die sich selbst finanzieren, auch ein Leben führen, das auf mehr Selbstbestimmung baut.

Auch bei Inklusion im Bildungssystem bestünde großer Aufholbedarf, erkennbare Fortschritte vermisst Dr. Hofer. „Es fehlt der Wille und vielleicht fehlt auch der Mut, eine Änderung einzuleiten. Aber wenn man nur will, dann geht das auch.“ Bildung, Weiterbildung, Arbeit – ein Stufensystem, das für Menschen mit Behinderungen weiterhin mit zusätzlichen Hürden ausgestattet ist. Und selbst bei Menschen mit Behinderungen in Anstellungen ist die Gefahr auf Diskriminierung eine hohe. „Es fehlt meist an Karrierechancen“, weiß Dr. Hofer. Barrierefreiheit und persönliche Assistenz am Arbeitsplatz funktionieren in der Regel ganz gut. Aber Fortbildungen, Aufstiegschancen, Weiterkommen – hier werde Menschen mit Behinderungen oft der Riegel vorgeschoben.

Wachsen und Helfen

In den letzten Jahren gab es trotz großer und weiterhin bestehender Baustellen auch Schritte in die richtige Richtung. Um aber effektiver für die Rechte von Menschen mit Behinderung eintreten zu können, wäre es notwendig, als Behindertenanwaltschaft Personen auch vor den Behörden und vor Gericht vertreten zu dürfen. „Dafür bräuchte es eine Determinierung im Bundesbehindertengesetz“, gibt Dr. Hofer an. „Wir sind Juristinnen und Juristen, wir können das. Aber wir dürfen es im Moment noch nicht.“

Auch, dass die Anwaltschaft örtlich nur in Wien vertreten ist, sieht Dr. Hofer problematisch. „Hätten wir Außenstellen in Graz oder etwa in Innsbruck, dann könnten wir besser vor Ort betreuen und helfen.“ Es wäre auch notwendig, zusätzliche Personen zu beschäftigen, um die Lücken schließen zu können. Zu tun gäbe es genug, so viel steht fest.

 

Behindertenanwaltschaft

Die Behindertenanwaltschaft ist eine Serviceeinrichtung für Menschen mit Behinderungen. Sie berät und unterstützt Menschen mit Behinderungen, wenn diese sich diskriminiert fühlen.

Telefon: 0800 80 80 16 (Mo-Fr 8:00 bis 12:00 Uhr)
Fax: 01 71100 86 2237
E-Mail: office@behindertenanwalt.gv.at

Behindertenanwaltschaft
Babenbergerstraße 5/4
A- 1010 Wien

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