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Digitale Barrierefreiheit und schwarze Löcher

"Der Durchblick"-Auskoppelung im Fokus

  • Arbeit an der Braille-Zeile © BSVÖ

Vor 30 Jahren hat noch kein Hahn nach ihr gekräht, weil das Internet erst zaghafte Babyschritte in die Welt der kommerziellen Nutzung machte. Aber nach zehn Jahren in denen sich die Dominanz des Internets am Sektor des technischen Informationsaustausches mehr und mehr abzeichnete, begann der Ruf nach barrierefreier Nutzbarkeit lauter zu werden.

Heute ist ein Leben vor dem World Wide Web fast nicht mehr denkbar. Prähistorisch muten Kommunikation und Informationsaustausch an, die nicht internetgestützt sind und vor allem jüngere Generationen scheinen geradezu mit ihren mobilen Geräten zu verschmelzen. Mit leichten Daumen navigieren sie sich durch Social Media und managen nebenbei Team-Meetings, Bankkonto und den nächsten Urlaub.

Das World Wide Web hält eine unendliche Flut an Möglichkeiten der Information und des Handelns bereit und ist dabei oft ganz selbstverständlich in das tägliche Leben eingebettet. Aber ist es auch wirklich für alle da? Mitnichten.

Ist eine Homepage zwar nach dem neuesten Trend gestaltet, angefüllt mit Infos, Bildern und Menüs, die in einer Spirale der Untermenüs tiefer und tiefer in ihr Inneres führen, so kann diese nur sinnvoll genutzt werden, wenn die Inhalte und Struktur auch barrierefrei zugänglich sind. Aber was heißt das eigentlich?

Das vierblättrige Kleeblatt

Barrierefrei bedienbar heißt, dass Webseiten und mobile Anwendungen bestimmte Grundsätze erfüllen, um von allen Nutzer_innen, mit oder ohne Behinderung, bedient werden zu können. Dafür wurden vier Grundsätze erarbeitet:

Wahrnehmbarkeit: Inhalte müssen so dargestellt werden, dass sie auch wahrgenommen werden können.

Bedienbarkeit: Die Komponenten und die Navigation müssen handhabbar sein.

Verständlichkeit: Handhabung und Information müssen verständlich sein.

Robustheit: Die Inhalte müssen funktionieren, interpretierbar sein und standhalten, auch wenn z.B. assistive Technologien zugreifen.

Für blinde und sehbehinderte Menschen ist die Navigation und Nutzung nur dann sinnvoll möglich, wenn Webseiten und Anwendungen so strukturiert sind, dass sie auch ohne einen in erster Linie visuell basierten Zugang verwendet werden können. Fehlende Orientierungspunkte oder Alternativtexte in inhaltstragenden Grafiken, nicht markierte Überschriften, Links, die ins Leere führen oder Designs, die ausreichende Kontraste vernachlässigen sind neben anderen Barrieren die Stolpersteine der Nutzbarkeit.

Barrieren mit Ablauffrist

Um das digitale Kuddelmuddel ein bisschen besser in den Griff zu bekommen, wurden unterschiedliche Regelungen ins Leben gerufen. In Österreich ist das Web-Zugänglichkeits-Gesetz (WZG) das Bundesgesetz, das die Anforderungen an die Barrierefreiheit für Webseiten und mobile Anwendungen des Bundes und seiner Einrichtungen festlegt. Bis 23. September 2020 mussten alle Webseiten, unabhängig von ihrem Veröffentlichungsdatum barrierefrei zugänglich sein. Mobile Anwendungen können noch bis zum 23. Juni 2021 angepasst werden. Der European Accessibility Act (EAA), der 2019 in Kraft getreten ist, ist ebenfalls eine wichtige Richtlinie zur Barrierefreiheit. Darin festgelegt ist z.B. die Verpflichtung, den Online-Handel, Hardware-Systeme mit entsprechenden Betriebssystemen aber auch etwa den Zugang zu Bankdienstleistungen barrierefrei zu gestalten. Bis 28. Juni 2022 muss der EAA in internationales Recht umgesetzt und ab dem 28. Juli 2025 angewandt werden.

Barrierefreiheitspolizei?

Für Webseiten, die nicht dem Bund unterstellt sind, gilt das WZG nicht. Das bedeutet aber nicht, dass andere Webseitenbetreiber alle Anforderungen getrost unter den Tisch kehren können. Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) gilt sowohl für den öffentlichen als auch den privatwirtschaftlichen Bereich, wodurch Betreiber, die durch Barrieren diskriminieren, sehr wohl mit einem Nachspiel rechnen müssen. Dass barrierefreie Seiten und Anwendungen außerdem den großen Vorteil haben, von allen Interessierten gefunden, bedient und genutzt werden zu können, ist aber kein Geheimnis. Webdesign, das für alle da ist, ist im Umkehrschluss auch für das Finden und Nutzen von Webseiten und ihren Inhalten nur förderlich.

Vorsicht Virus

Spätestens seit dem Frühjahr 2020 sollte auch der breiten Öffentlichkeit bewusst geworden sein, dass digitale Barrierefreiheit und die mit ihr einhergehende intuitive Bedienbarkeit kein alternatives Zuckerl sondern die handfeste Basis für Selbstbestimmtheit ausmacht. Als sich das Leben auf einmal aus der Öffentlichkeit in die kontaktlose Privatheit verlagerte, zeigten sich aber schnell grobe Risse im System. Abgesehen von einer Unzahl an neuen Hürden, der Menschen (mit und ohne Behinderungen) durch die Pandemie plötzlich gegenüberstanden, machten digitale Barrieren die Abwicklung täglicher Notwendigkeiten im World Wide  Web noch einmal schwieriger. In einer Zeit der großen Unsicherheit und persönlichen Belastung oft alternativlos an digitale Mauern zu stoßen, wäre in einer Gesellschaft, die Barrierefreiheit von Anfang an mitgedacht und angewendet hätte, seltener geschehen.

Lernstoff offline

Was 2020 ebenfalls brachte, war ein Überdenken des Schulbetriebes und der Möglichkeiten, auch außerhalb der Klassenzimmer und der analogen Unterlagen unterrichten zu können. Was sich zeigte, war ein wenig überraschendes Manko: Inhalte werden zum größten Teil nicht digital aufbereitet, eine Vernetzung hat bisher kaum stattgefunden und der Unterricht ist mit online-Optionen kaum vertraut. Dass Bildungseinrichtungen und Lehrende mit der Schließung der Schulen oft eigenständig kreativ werden mussten, um ihre Schüler_innen zu erreichen und einen halbwegs den Lehrplan umfassenden Unterricht fortsetzen zu können, zeigte die große Notwendigkeit auf, hier mit durchdachter Digitalisierung aktiv zu werden. 

 

Mehr Lesestoff

Sie möchten noch mehr schmökern? Unter diesem Link gelangen Sie zur Gesamtausgabe des Verbandmagazins "Der Durchblick" des 2. Halbjahres 2020: https://www.blindenverband.at/de/information/durchblick/archiv/959/Der-Durchblick-2020

Es steht Ihnen der Download als PDF, als Rohtext und auch als Audiofile (MP3) zur Verfügung!

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Viel Spaß beim Lesen!

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