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Große Meister hautnah

Gespräch mit Dr. Rotraut Krall

  • Jäger im Schnee © KHM-Museumsverband

Aus der Durchblick-Reihe:

Das Kunsthistorische Museum (KHM) ist ein Gesamtkunstwerk. Was in den prachtvollen Räumen des 1891 erbauten Juwels an der Wiener Ringstraße präsentiert wird, ist an Qualität und kunsthistorischer Bedeutung kaum zu toppen. Nun zog einer der Größten ein: mit der Bruegel-Ausstellung vermag das Kunsthistorische Museum aufs Neue zu begeistern. Dr. Rotraut Krall, Kunstvermittlerin und fachkundige Kunsthistorikerin erzählt im Gespräch mit dem Durchblick von ertastbarer Kunst, erfolgreichen Gruppenprojekten und schweren Abschieden.

Anlässlich der Bruegel-Ausstellung, die mit 1. Oktober 2018 startete, wurde ein neues Projekt für barrierefreie Kunstvermittlung mit dem Unternehmen Tactile Studio (Paris) umgesetzt. Die Taststation zum berühmten Werk Kampf zwischen Fasching und Fasten erschließt das großformatige Werk mit seinen unzähligen Figuren und Schauplätzen und besticht durch Detailarbeit. Die komplexe Konzeption des Bildes, das in seiner Vielfalt zur ausführlichen Befassung einlädt, wird im Rahmen der Taststation ebenso aufbereitet, wie auf die allegorischen Ideen eingegangen wird, die hinter dem Werk stehen.

Doch was ist notwendig, bevor das Projekt Taststation umgesetzt werden kann? Nun, zum einen muss nach der Sicherstellung der finanziellen Aspekte und dem Finden eines geeigneten ausführenden Partners auch die Kuratorin der Ausstellung ins Boot geholt werden. „Dr. Sabine Pénot teilte von Anfang an den inklusiven Zugang“, berichtet Dr. Krall. „Mit Ende 2017 konnte das Projekt in Auftrag gegeben werden.“

Fantastische Wimmelbilder

Gemeinsam mit dem kompetenten Projektpartner Tactile Studio wurde die Taststation in umfangreicher Arbeit schon seit 2016 vorbereitet. Um sich dem Bild anzunähern, kommen mehrere Stationen zum Einsatz. Zuerst ist die Gesamtkomposition als Fotographie mit taktilen Linien und Flächen ausgestattet um Symmetrieachse und abgebildete Gebäude tastbar zu machen. „Die Grundkomposition des Bildes ist ein beinahe gleichseitiges Dreieck“, berichtet Dr. Krall. Auf einer zweiten Fotographie sind in dem Gewimmel an Figuren zwei Gestalten als erhabene Fläche gestaltet und nummeriert – im dritten Abschnitt werden sie vergrößert und mit taktilen Umrisslinien versehen hervorgehoben. Die Spardose, die eine der Figuren in Händen hält, ist als handmodelliertes Objekt ebenso tastbar gemacht wie der Philipstaler – eine Münze, die in der damaligen Zeit im Umlauf war. Ebenso als Tastobjekt neben dem Bild zugänglich gemacht ist der spitz zulaufende Lederschuh eines der dargestellten Narren. In Abrundung mit Braillebeschriftung und Audioguide-Erzählung wird Bruegels Werk hier auf mehreren Ebenen lebendig – und das für alle interessierten Besucherinnen und Besucher. Auch nach Beendigung der Sonderausstellung wird die Taststation Teil des Museums bleiben.

Pieter Bruegel d. Ä. "Kampf zwischen Fasching und Fasten" © Gemäldegalerie

Die im Kunsthistorischen Museum präsentierten Werke werden vordergründig visuell erfasst. Die Frage nach dem Wie der Vermittlung für blinde und sehbehinderte Menschen stellt sich also immer wieder aufs Neue. Dr. Krall, die selbst seit Mitte der Achtzigerjahre mit dem Museum in Verbindung steht, befasst sich seit 2010 mit barrierefreier Kunstvermittlung wobei die Vermittlung für sehbeeinträchtigte und blinde Personen eine besonders wichtige Rolle spielt. „Es war damals ein Sprung ins kalte Wasser, aber ebenso ein wichtiges Anliegen. Meine erste Herangehensweise lief über die Dreidimensionalität und das Ertasten von Figuren.“ Dieses brachte allerdings große Schwierigkeiten mit sich. Originale zu ertasten wäre – selbst mit Handschuhen – nicht möglich gewesen, die Idee, Repliken anzufertigen, musste aufgrund konservatorischer Gründe auch schnell ad acta gelegt werden. Anstatt allerdings das Thema fallen zu lassen, ging Dr. Krall nur noch motivierter an die Sache. „Ich wollte versuchen, Gemälde umzusetzen, weil diese eben für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen am wenigsten zugänglich sind“, so die Kunstvermittlerin, die sich für Expertise an damalige Vorreiter der Barrierefreiheit wandte. Das Ergebnis der Arbeit waren die Tastreliefs, die seit ihrer Einführung für großes Interesse gesorgt haben. Fortbildungen und Sensibilisierungen – auch in Deutschland – halfen Dr. Krall ihre Kenntnisse im Bereich der barrierefreien Kunstvermittlung zu vertiefen. Das obligatorische „Learning-by-Doing“, die Unterstützung durch eine Fokusgruppe, das Engagement des Guest-Services und der ständige Wille zur Verbesserung, lässt die Beschäftigung mit barrierefreier Kunstvermittlung am KHM nicht stagnieren. „Aus den rund 40 Kunstvermittlern und Kunstvermittlerinnen am Haus hat sich mittlerweile eine Gruppe entwickelt, die mich bei barrierefreien Projekten ganz tatkräftig unterstützt. Es geht nur zusammen.“

Ein weiteres Tastrelief zu Bruegel ist bereits im Entstehen. Die Ausführung soll wie bei Klimts Der Kuss im Belvedere vorgeführt, mit einer speziellen Computertechnik ausgerüstet sein, die das Tasten beobachtet und entsprechende Information über Kopfhörer ausgibt. Man darf sich also freuen.

Taststation Bruegel ©Tactile Studio Paris

Farbe, Licht und Schatten

„Es war für mich am Anfang noch gewöhnungsbedürftig, in einem Projekt für blinde und sehbehinderte Menschen von Farbe, Licht und Schatten zu sprechen“, erinnert sich Dr. Krall. Eva Papst vom Bundes-Blindenerziehungsinstitut (BBI), die als wichtige Quelle der Expertise diente, nahm allerdings schon zu Beginn die Angst vor der Beschreibung. „,Verwenden Sie die Sprache, mit der Sie sprechen, damit kommen wir zurecht!‘, hatte sie mir damals gesagt. Und somit war das Eis gebrochen.“

Eine Herausforderung, an die Dr. Krall bei der Erstellung der Audioguidetexte stieß, war die Vermittlung von Perspektive und Räumlichkeit. „Das ist gerade bei Bruegel, etwa bei der Kreuztragung Christi oder auch den Landschaftsbildern schwierig, weil er sehr bühnenmäßig staffelt. Da stieß ich an meine Grenzen.“ Die Komposition Selbstmord Sauls stellte sich als besonders kniffelig heraus. Dr. Krall, die mit der Textung für Audioguides auf große Erfahrung zurückgreifen kann, fasst es folgendermaßen zusammen: „Links ein Felsenplateau, aus der Mitte schräg diagonal strömen die Soldaten, rechts ein Felsenplateau; wie ist das umzusetzen? Aus dem Mittelgrund in den Vordergrund – das versteht doch niemand!“ Erst als Dr. Krall damit begann, umzudenken und das Bild von der Fläche her zu betrachten, lichtete sich der Raum. Wichtig für die Bildbeschreibung sei auch immer Empathie und die Wahl einer lebendigen Sprache betont die Kunsthistorikerin. „Beschreibungen werden immer gegengelesen – auch von Menschen, die weniger Affinität für die bildende Kunst haben. So bringt jeder seine Inputs und diese können für ein möglichst gutes Ergebnis adaptiert werden.“

Ein anderes bedeutendes Projekt, das die Abteilung für barrierefreie Kunstvermittlung im KHM beschäftigt, ist „Arches“ (deutsch: Bögen) laufend unter dem europäischen Forschungs- und Innovationsprogramm HORIZON 2020. Zwölf Partner aus verschiedenen europäischen Ländern arbeiten hierbei an einer App, die Personen mit unterschiedlichsten Formen der Behinderung einen möglichst selbstbestimmten Zugang zu Kunst und Kultur geben soll. In Wien trifft sich hierfür alle zwei Wochen das Team, das ausschließlich aus Menschen mit Behinderungen besteht, um an zwanzig ausgewählten Werken zu arbeiten. „Das ist eine unglaublich aktive und zielorientierte Gruppe“, freut sich Dr. Krall über die Zusammenarbeit. Die App animiert als interaktives und vielschichtiges Tool zur umfangreichen Beschäftigung mit erwählten Kunstwerken und fördert darüber hinaus den Inklusionsgedanken. Kunst muss eben für alle da sein.

Auf die Frage nach dem eigenen Lieblingsbild, spricht sich Dr. Krall, die nicht zuletzt durch eine kleine Monographie über Caspar David Friedrich an die Kunstgeschichte herangeführt wurde, für die Vielfalt aus. „Ich brenne wirklich für alle Objekte hier, aber es gibt wohl Bilder, die ich besonders gerne im Rahmen von Führungen betone, Giorgiones Laura etwa. Aber auch die Dornenkrönung Christi Caravaggios ist ein Gemälde, das mich immer wieder berührt.“ Wehmütige Abschiedsgefühle kämen am Ende einer Ausstellung auf, wenn die Objekte wieder die Heimreise antreten. „Das ist jedesmal eine emotionale Schwelle, die übertreten werden muss.“

 

Auszug aus der Audioguide-Beschreibung: […] Drei Jäger stapfen von links kommend, schweren Schrittes erschöpft durch den tiefen Schnee. Die schwarzen Kappen haben sie tief ins Gesicht gezogen. Ihre grauen und braunen knielangen Jacken scheinen sie kaum gegen die klirrende Kälte zu schützen. Einer von ihnen trägt einen erlegten Hasen über der Schulter. Selbst die vierzehn Hunde folgen mit hängenden Ohren verdrossen ihren Herren […]

 

Bruegel im Kunsthistorischen Museum Wien - noch bis 13. Jänner 2019!

 

Weiterführende Links:

Bruegel barrierefrei - Bruegel zum Erhören: https://www.bruegel2018.at/bruegel-barrierefrei/

Kunsthistorisches Museum Wien barrierefrei: https://www.khm.at/erfahren/kunstvermittlung/barrierefreie-angebote/

 

Hier geht's zur Gesamtausgabe des Verbandsmagazines "Der Durchblick" 2. Halbjahr 2018

Der Durchblick 2/2018
 

Wenn Sie unser Verbandsmagazin "Der Durchblick" gerne als Schwarzdruck, Braille-Ausgabe oder im DAISY-Format nach Hause geschickt bekommen möchten, so schreiben Sie uns! 

Haben Sie Themenvorschläge zu denen Sie Sie gerne mehr im 2. Halbjahr 2019 lesen würden? Über Anregungen, Ideen und Hinweise freut sich Chefredakteurin Dr. Iris Gassenbauer (Tel.: +43 1 982 75 84-202)

 

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